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Ein ganz amtlicher Fahrradklau

■ Altonaer Behörde entwendete Drahtesel / Begründung: Sie verschandeln Stadtbild

/ Begründung: Sie verschandeln Stadtbild

Anke B. wollte besonders raffiniert sein. Da der Altonaerin schon mehrere nagelneue Fahrräder geklaut worden waren, besorgte sie sich einen gebrauchten Drahtesel mit etwas schäbigem Erscheinungsbild. Dazu ein dickes Sicherheitsschloß. Half ihr alles nichts. Eines Tages fand sie das Schloß geknackt, ihr Rad entwendet. Doch NachbarInnen hatten die Täter beobachtet. Die Langfinger kamen vom Altonaer Tiefbauamt.

Das ist weder ein übler Scherz noch ein Einzelfall. Seit geraumer Zeit läßt das Altonaer Tiefbauamt alles entfernen, was es für „Fahrradschrott“ hält. Mit Bolzenschneidern werden Schlösser zerlegt, die Drahtesel auf einen Lastwagen gehievt und zum Betriebshof des Bezirksamts gebracht. Nach halbjähriger Zwischenlagerung wandern die Räder dann auf den Schrott. Laut Berichten von ZeugInnen luden die amtlichen „Langfinger“ die zum Teil völlig fahrtüchtigen Zweiräder auch dann nicht wieder vom LKW ab, als sie auf ihren Irrtum aufmerksam gemacht wurden. Mit der Bemerkung: „Sie können sich die Dinger ja vom Lagerhof wieder abholen“, seien die Straßenwarte samt Beute davongebrettert.

Nach Angaben des stellvertretenden Leiters des Altonaer Tiefbauamts Jürgen Behm handelten die „Diebe“ gemäß den Vorschriften des Abfallgesetzes. Weil sie das

1Stadtbild verschandeln würden, läßt die Behörde rund fünf bis zehn Räder pro Woche von Altonas Straßen entfernen. Behm: „Viele Anwohner lassen ihre ausgedienten Fahrräder einfach verrotten, da müssen wir eingreifen.“ Allerdings gibt der Beamte zu, daß seine Mitarbeiter bei der Auswahl „wohl manchmal etwas übereifrig waren“.

Denn die Klagen von um ihr Eigentum gebrachten RadlerInnen ha-

1ben sich so stark gehäuft, daß das Tiefbauamt ein spezielles Info-Telefon einrichten mußte. Unter der Nummer 39 07 23 90 können RadlerInnen erfahren, ob ihr verschwundener Drahtesel amtlich „sichergestellt“ wurde. Dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) wurde das Treiben des Tiefbauamts inzwischen zu bunt — er reichte Klage gegen die „Diebe“ aus der Behörde ein.

1Doch Tiefbauer Jürgen Behm verspricht: „Wir werden darauf achten, daß nur noch völlig fahruntüchtige Räder entfernt werden, die lange nicht benutzt wurden.“ Ein Kriterienkatalog, nach dem sich Drahtesel trennscharf zwischen flott und Schrott unterscheiden lassen, liegt den Bezirksbediensteten allerdings nicht vor — „Ermessensspielraum“ heißt es im Behördendeutsch. Marco Carini

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