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Schildbürgerstreich in Pinneberg

■ Schleswig-Holstein plant Mega-Mülldeponie / Wird durch Ruckzuck-Genehmigung die Bundesgesetzgebung unterlaufen?

/ Wird durch Ruckzuck-Genehmigung die Bundesgesetzgebung unterlaufen?

Müllpolitik auf Schildbürger-Art. Da soll das Duale System die unverwertbaren Hausmüllmengen so reduzieren, daß in Zukunft weniger Abfall „vernichtet“ werden muß. Da beschließt der Bund im Februar dieses Jahres, die verbleibenden Müllberge durch den Schlot zu jagen, da durch moderne Filtertechniken die Verbrennung von Abfällen umweltfreundlicher sei als deren Ablagerung. Da investiert Hamburg Millionen in den Bau der Müllverbrennungsanlage (MVA) Borsigstraße, plant den Ausbau der MVA Stapelfeld, um aus der Deponietechnik auszusteigen. Nur Schleswig-Holstein bleibt auf striktem Gegenkurs: Um weniger Abfall zu verbrennen, will die Landesregierung in Pinneberg für 250 Millionen Mark eine der größten deutschen „Reststoffdeponien“ errichten.

1997 soll die bis zu 40 Meter hohe Deponie mit der Grundfläche zweier Fußballfelder betriebsbereit sein. Der genaue Standort steht noch nicht fest. Das Deponiekonzept sieht vor, das der angelieferte Müll durch mechanische und biologische Vorbehandlung „entgiftet“ und verringert wird, um den Eintrag möglichst gering zu halten und die Gefährdung des Grundwassers zu minimieren. Ingenieur Henning Hoins, einer der Planer, geht davon aus, daß von 250 000 Tonnen angeliefertem Abfall pro Jahr nur 120 000 Tonnen tatsächlich deponiert werden müssen. Besonderer Clou des Konzepts: Die Anlage wird fast vollständig überdacht, damit die bei der Ablagerung entstehenden Emissionen nicht in die Atmosphäre gelangen.

Was die AnwohnerInnen von diesen Plänen halten, wollten sich die GemeindepolitikerInnen am Mittwoch im Rahmen eines sogenannten Konfliktermittlungsverfahrens in Erfahrung bringen, daß dem Genehmigungsverfahren vorgeschaltet wurde. Im Festsaal des Barmstedter Hofes aber wird Landrat Behrend Harms, der den Versammelten die Deponie schmackhaft machen soll, an diesem Abend fast niedergebrüllt.

Viele der Anwesenden wollen als Ersatz für die vor der Abschaltung stehende MVA Tornesch lieber eine neue Feuerungsanlage auf höchstem umwelttechnischen Niveau. Die Standort-Sucher aber wurden von vornherein auf das Deponiekonzept verpflichtet. Vier mögliche Plätze haben sie ausgeguckt: südlich von Brande-Hörnekirchen, nördlich von Kummerfeld, südlich von Quickborn oder zwischen Heede und Bevern.

Landrat Behrend Harms beteuert: „Wir brauchen hier eine neue Deponie, denn die private Abfallhalde Schäferhof in Appen ist in drei Jahren verfüllt.“ Es gehe dabei vorrangig um die Lagerung des Pinneberger Hausmülls. Lediglich ein kleiner Teil soll aus den Hamburger Gemeinden Blankenese und Nienstedten dazukommen. Harms verspricht: „Wir werden auf der neuen Deponie keinen Bauschutt lagern, die Verbringung von Klär-

1schlamm wurde nur vorsorglich mit eingeplant.“

Den AnwohnerInnen aber lassen sich nicht besänftigen, zuviele Fragen bleiben am Mittwoch offen: Wird das Grundwasser gefährdet, welche Emissionen drohen, wieviele Mülltransporter werden die Luft täglich eindieseln? Trotz der ungeklärten Probleme soll bereits im Juni über den endgültigen Standort entschieden werden. Reimer

1Offermann, Sprecher der Bürgerinitiative gegen die Deponie, vermutet, daß das Planfeststellungsverfahren durchgezogen werden soll, bevor die „Technische Anleitung Siedlungsabfall“ bundesweit in Kraft tritt. Diese favorisiert die Müllverbrennung, neue Abfallkippen können dann nur in Ausnahmefällen genehmigt werden.

Notfalls würden sich die AnwohnerInnen auch auf die Ablage-

1rung des Abfalls an anderer Stelle einlassen. Nach Auffassung der Bürgerinitiative ist ein Gelände in Heidmoor, das auch zur Gemeinde Heede gehört, besser geeignet als die vier von der Behörde vorgeschlagenen Standorte. BI-Sprecher Offermann: „Da würden wir den Bau einer Deponie unterstützen, vorausgesetzt daß die Abfälle stofflich getrennt gelagert werden.“ Torsten Schubert/Marco Carini

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