: Er will Orange - sie Traubennuß
■ Premiere im Jungen Theater: Der Disney Killer von Philip Ridley
Tür zu. Riegel vorgeschoben, zweimal zugeschlossen. Und doch noch einmal umkehren, um nachzusehen, ob die Tür wirklich zu ist. Sie werden unglaubliche Dinge sehen im Jungen Theater, Verbrechervisagen, Verrückte, Monster und vielleicht sogar sich selbst. Vorne sehen sie zwei gute und liebe Menschen, Bruder und Schwester. Heißen Presley und Halley und sehen ganz harmlos aus. Haley (Martina Flügge) ißt gerne Orangenschokolade, doch Presley (Stefan Lahr) kauft immer Trauben-Nuß, wo doch die Nüsse so zwischen den Zähne kleben. Darüber streiten sie sich den ganzen Tag, ganz so als spielen sie Vater und Mutter. Doch die haben sie verloren, sie sind verschwunden aus ihrem Leben und dem Innersten ihres Herzens. Nun verbringen sie ihre Tage in einer geschlossenen Welt. Kleinigkeiten des Alltags bekommen verzweifelt lächerliche Wichtigkeit. Sie fürchten sich, den Notwendigkeiten und Ereignissen draußen ins Gesicht zu sehen. Hinter der sehr fest verschlossenen Tür ist eine ungenannte Katastrophe geschehen. Beckett grüßt Philip Ridley.
Die Inszenierung unter der Regie von Claudia Oberleitner führt über einen Zwiespalt des Stückes hinweg. Ridleys Figuren sind einseitig, nur böse, nur gut, nur hilflos oder nur schrecklich. Sie sindFiguren, die erst die Schauspieler in ein Lebewesen verwandeln müssen. Was ihnen hervorragend gelingt.
Aus dem Monstrum „Mistgabel“ (Robby Schlesinger), ein Ungeheuer mit entstelltem Gesicht wird ein von Sehnsucht und Liebe erfülltes Wesen. Hilflos streckt es die Arme aus und rührt uns tief. Sind wir nicht alle innerlich häßlich und klein? Doch es war nur eine perfekte Zirkusschau, in der das Furchtbare zur Attraktion wird. Und doch war es einen Augenblick echt. — Mit dem Monstrum verdient Cosmo (Klaus Franke) sein Geld, ein Mann, der sich nur ekelt, sonst nichts. Zu einem Menschen wird er erst durch die Art, in der er fragt: „Bin ich schön?“ Ein Lachen ist nicht zu verhindern.
Presley und Haley sind jene, die uns in all ihrer Hilflosigkeit rühren und sich nicht wehren können. Doch die Verzweifelung und die Unterwerfung, die Sucht nach Medikamenten und die devote Unterordnung erscheinen so echt, daß wir nie genau erfahren, warum sie so geworden sind. So führt erst das Zusammenspiel der vier zu einem Ganzen, das als solches die Welt von mehr als einer Seite zeigt.
Der Slapstik des Jungen Theater führte über viele Untiefen hinweg, in denen unter der Oberfläche nicht mehr viel zu sehen war. Einiges war darunter noch unklar zu sehen. Wir erfahren, wie der Disney-Killer aussieht und wie eine Schlange, die man lebend in einer Pfanne brät. Wie das Monstrum unter Frauen leidet und warum Cosmo Kakerlaken ißt. Und warum Orangenschokolade besser ist, und was das mit Erniedrigung zu tun hat. Auch wenn eine Unsicherheit bleibt. Ro
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