: Die Chopin-Schleife
■ Irgendwie so schön wie „Columbo“: Georgette Dee gastiert mit gewagten Nächten wohltemperiert schlüpfrig in der „Bar jeder Vernunft“
Fragen Sie mich bitte nicht, was es ist. Normalerweise wäre ich empört: zweieinhalb Stunden Programm – und nur ein einziges kleines neues Lied. Ansonsten alles alte Kamellen, das „Schweine- Lied“, die „Prinzen & Engel“... Sie wissen schon. Aber mit Georgette Dee ist es wie mit „Columbo“: Man weiß, daß er den Fall löst – die spannende Frage ist nur, wie er es diesmal macht. Und so sitzt man vor der Dee, hört ihre weitschweifenden Conferencen, versucht herauszuhören, auf welches Lied sie nun eigentlich hinauswill, und dann kommt es doch wieder ganz anders, als man denkt.
Die Titel ihrer Liederabende sind denkbar beliebig, mal nennt sie es „Tödliche Nächte“, mal „Verliebte Lieder“. Das Motto ihres zweiwöchigen Gastspiels in der „Bar jeder Vernunft“ heißt heuer „Gewagte Nächte“. „Na, dann wollen wir mal anfangen“, lächelt sie gekonnt lüstern ins Mikrophon, köpft die erste Flasche Champagner, und beginnt „schweinische Dinge aus meiner Jugend zu erzählen – das tue ich ja sonst nie!“ Das ist natürlich frisch geschwindelt, und die schwulen Jungs im Publikum reiben sich schon vorfreudig die manikürten Hände, denn jetzt geht es in die Vollen.
Hier vor heimischem Publikum gibt sich die Diva gern ein bißchen zotiger als im Schillertheater, aber dann doch nicht so drastisch wie früher im „Schwuz“. Wohltemperiert schlüpfrig plaudert die Dee von ihren vielen homoerotischen Begegnungen: mit dem gutgewachsenen blonden Lufthansapiloten – wenn schon kein Matrose, dann wenigstens ein fliegender Fernreisender – mit einem nichtssagenden Geistmenschen, der aber durch wundersame Fügung ihre erogenste Zone entdeckt, mit diesem und jenem, mal heiter, mal traurig – dafür hat der liebe Gott schließlich die Matrosen erfunden...
Worauf das am Ende hinausläuft? Wir wissen es, Columbo weiß es, Terry Truck weiß es auch. Und doch ist es immer wieder zu schön, wie der diskrete Pianist eine Schleife nach der anderen spielen muß, minutenlang mitunter, weil die Dee ihren roten Faden immer weitläufiger ausspinnt, dann noch ein kleines Schlückchen Champagner, und endlich kommt mal wieder ein Lied, der „Philipp“ vielleicht, oder „Laß das!“ oder der „Arsch“...
„Spiel doch, was du willst“, raunt sie nach den ersten vier Gläsern dem Herrn Truck zu, „mir geht's gut.“ Auch das ist nicht ganz der Originaltext, aber, Sie werden es erleben, dann doch ausgesprochen originell, und gut scheint es der Diva wirklich zu gehen. Sie ist voll da mit ihren „14 voll – steht auf der Flasche“. Wer kann schon ein Mikrophon, eine Zigarette, ein Feuerzeug und ein Champagnerglas gleichzeitig halten, sich dabei die Nase pudern und noch sein Publikum unterhalten? Die Dee kann das, und sie nimmt sich alle Zeit, diese Akrobatik weitlich auszuspielen: Als sie am späten Ende dieser gewagten Nacht endlich wieder auf dem Kreuzfahrtschiff gelandet ist, muß der Herr Terry geschlagene sieben Minuten die Chopin-Schleife spielen, bevor Frau Dee endlich das Schiffsrestaurant entert, um den schüchternen jungen Mann zu verführen. Da sahen wir sie schon als „Seeräuberjenny“, und es war ganz ruhig hier am Hafen, und ihr aufgestecktes Haar leuchtete bläulich im Gegenlicht, als dieses unvergleichliche „Hoppla“ kam. Da war sie auch schon Carmen und Marlene gewesen, und Hinz und Kunz: „Ich war nie wirklich schön, aber immer sehr mutig“, gesteht uns die Dee, wirkt sich ihren Knoten ins Kleid, stopft das Champagnerglas ins Décolleté und öffnet ihre Haarspange. „Cheep trick“, raunt Terry von schräg hinten, und Frau Dee kokettiert zurück: „I love cheep tricks. In show business cheep tricks are the best tricks.“ Bei Columbo weiß man ja schließlich auch, daß es am Ende gut ausgeht. Und spannend ist es trotzdem. Klaudia Brunst
Georgette Dee und Terry Truck: „Gewagt Nächte“, bis 30. Mai, Mi.–So., 20.30 Uhr in der Bar jeder Vernunft. Der anschließende Nachtsalon wird mit den beiden Pfister-Brüdern Toni und Ursli gestaltet.
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