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Die Ungeduld des Advokaten

■ Juventus Turin wurde durch ein 3:0 gegen Borussia Dortmund UEFA-Cup-Sieger

Berlin (taz) – Lang, lang ist es her, daß Juventus Turin zum letzten Mal italienischer Meister wurde. 1986 war es, als der Franzose Michel Platini den Club als Mittelfeldspieler und Torjäger nahezu im Alleingang zum insgesamt 22. Titel führte. Ein Jahr später setzte sich Platini zur Ruhe und fortan machten die Mailänder Clubs das Championat mit Maradonas SSC Neapel unter sich aus. Lediglich Sampdoria Genua durfte 1991 kurzzeitig mitmischen. Das stolze Juventus dagegen konnte froh sein, wenn es für einen UEFA-Cup-Platz reichte.

Schuld an der Misere war nicht zuletzt die Ungeduld des allmächtigen Fiat- und Juve-Bosses Gianni Agnelli, genannt „Der Advokat“. Er heuerte und feuerte die Spieler in einem Tempo, welches, übertragen auf seine Autofabrikation, im Handumdrehen zum Zusammenbruch des Unternehmens geführt hätte und wunderte sich, wo denn wohl der Erfolg bliebe. Die ausländischen Stars – vom Waliser Rush über die Russen Zawarow und Alejnikow, den Portugiesen Rui Barros bis zum Deutschen Häßler – gaben sich die Trikots in die Hand und wurden schon wieder ausgemustert, bevor sie überhaupt alle Mitspieler mit Namen kannten. Daß Silvio Berlusconi und Arrigo Sacchi jenes Mailänder Wunderteam der Achtziger äußerst geduldig aufgebaut hatten, bevor sich die Erfolge einstellten, die Mannschaft mit den drei Holländern Gullit, van Basten und Rijkaard jahrelang in der nahezu gleichen Besetzung spielte, bis Berlusconi schließlich ebenfalls zum Großeinkauf ausholte, war dem starrköpfigen Fiat-Boß in seiner Erfolgsgier glatt entgangen.

Auch in dieser Saison, als Juventus kurzfristig ins Mittelfeld der Tabelle zurückgefallen war, hatte Agnelli bereits wieder die Nase voll und hielt Ausschau nach neuen Wundertätern, doch diesmal fiel ihm Giovanni Trapattoni, der Louis de Funes des Trainerwesens, in den lireschleudernden Arm. Und wurde prompt, wenn auch nicht mit der Meisterschaft, so doch wenigstens mit dem UEFA-Pokal belohnt.

In den letzten Wochen läuft es plötzlich, das lange Zeit geistesgestörte Kombinationsspiel der Turiner. Andreas Möller, Gianluca Vialli und die beiden Baggios, Dino und Roberto, haben sich aneinander gewöhnt, die Psyche ist auf einmal intakt, Ball und Akteure nehmen exakt den Weg, den der Trainer zuvor an die Tafel gemalt hat, und dank Möllerscher Dynamik und Roberto Baggios Genialität besitzt Trapattonis traditionell langweilige Catenaccio-Parodie jetzt sogar Witz und Raffinesse. Juventus ist eine europäische Spitzenmannschaft geworden und dies just zu einem Zeitpunkt, als es Borussia Dortmund am allerwenigsten in den Kram paßte.

Ersatzgeschwächt mußten die Borussen zu den UEFA-Cup-Endspielen antreten und waren in beiden Partien vollkommen chancenlos. So wie beim 1:3 im Dortmunder Hinspiel die Abwehr ohne Zelic, Schulz und Kutowksi nicht in der Lage war, mit den Kontern der Turiner fertigzuwerden, so war auf dem regennassen Rasen des „Stadio delle Alpi“ der Sturm ohne Povlsen und Chapuisat weit von jeglichem Torerfolg entfernt. Einzig Michael Schulz brachte Peruzzis Tor per Fuß und Kopf in der ersten Halbzeit ernstlich in Gefahr.

Bereits in der fünften Minute hieß es nach Hackentrick von Vialli und wuchtigem Abschluß von Dino Baggio 1:0, doch es war weniger dieses Tor, das jegliche eitle BVB-Hoffnung begrub, sondern die Art, wie Juventus bereits zu diesem Zeitpunkt den Gegner beherrschte. Wenn sie nur wollten, so schien es, würden die Turiner locker zweistellig gewinnen.

Doch sie wollten nicht. Erneut Dino Baggio köpfte zwei Minuten vor der Halbzeit jenes Tor, daß Dortmund laut Trainer Ottmar Hitzfeld „das Genick brach“. Möller ließ es sich nicht nehmen, in der 65. Minute das 3:0 gegen seinen alten Club zu erzielen, aber dabei beließen es die verspielten Turiner gnädigerweise.

Den UEFA-Cup hat Juventus im Sack, nach dem Pokalsieger- Triumph des AC Parma der zweite Streich der Italiener. Fehlt nur noch ein Sieg des AC Mailand nächste Woche bei den Landesmeistern gegen Olympique Marseille, und das Triple ist zum zweiten Mal nach 1990 (Milan, Sampdoria, Roma) perfekt. Auf Turins neues Zauberteam aber wartet in der kommenden Saison eine ungleich schwerere Aufgabe als die Spiele gegen Dortmund: der Gewinn der 23. Italienischen Meisterschaft. Fragt sich bloß, ob die Geduld des Advokaten die Sommerpause überdauert. Matti

Borussia Dortmund: Klos - Zelic - Schmidt, Schulz - Reuter (66. Lusch), Karl, Rummenigge (43. Franck), Poschner, Reinhardt - Sippel, Mill

Zuschauer: 65.000 (ausverkauft)

Tore: 1:0 Dino Baggio (5.), 2:0 Dino Baggio (43.), 3:0 Möller (65.)

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