Ab Sonntag wird in Kambodscha erstmals frei gewählt – dank der UNO. Trotzdem versprechen die Wahlen keinen Frieden, denn der Krieg geht weiter. Aus Phnom Penh Peter Dienelmann

Sind die Wahlen wirklich geheim?

Im Städtchen Takhmau, in der Phnom Penh benachbarten Provinz Kandal ist eine Theatergruppe der kambodschanischen Menschenrechtsorganisation LICADHO eingetroffen. Gegeben wird das Stück: Wählen. Knapp 2.000 Menschen sind im Hof der örtlichen Schule versammelt. Einer der Laien-Schauspieler führt den Wahlvorgang vor: Vorzeigen der Wahlberechtigungs-Karte, Empfang des Wahlzettels, Gang in die Kabine, Schritt für Schritt bis zur Markierung des Zeigefingers mit einer klaren Flüssigkeit, die unter blau-fluoreszierendem Licht anzeigt, ob der Wähler bereits seine Stimme abgegeben hat.

Murmeln unter den Zuschauern. Einer meldet sich zu Wort. „Ich habe gehört, daß bei der Wahl Kugelschreiber verwendet werden, die anzeigen, für wen man gewählt hat“, bringt ein etwa 40jähriger Landarbeiter vor. Beistimmendes Nicken in seiner Umgebung. Ein anderer steht auf: „Man kann über Satelliten in die oben offene Kabine schauen und zusehen, wo das Kreuz hinkommt“, klagt er. „Gegen diesen und ähnlichen Unsinn kämpfen wir nun seit Monaten an“, erklärt der UN-Angehörige Abdoulaye Bah, stellvertretender Provinz-Wahlchef.

Mit Videofilmen, Plakaten, Broschüren. T-Shirts mit dem Aufdruck „Die Wahlen sind geheim“ und mit viel Geduld bewaffnet, ziehen seit sechs Monaten seine 4.500 freiwilligen kambodschanischen Wahl-Aufklärer durch Kandal, wo 420.000 Wähler registriert sind. Eine von ihnen ist die 35jährige Lehrerin Sek Sokhom. Sie hat sich für den anstrengenden Job – zehn bis zwölf Stunden Arbeit pro Tag – beworben, weil „ich daran glaube, daß Demokratie in Kambodscha möglich ist.“ Sie stellt fest, daß die Wähler besorgt sind, weil die Roten Khmer nicht an den Wahlen teilnehmen, „obwohl sie hier, in unserer Provinz sicher niemand gewählt hätte.“

Doch die Angst vor Racheakten der Rote Khmer sitzt tief, „daher auch die Sorge über das Wahlgeheimnis. Am Freitag hat der Sprecher der Roten Khmer, Mak Ben, nochmals erklärt, seine Organisation würde die Wahlen „niemals akzeptieren“, und indirekt die Drohung wiederholt, daß es Anschläge auf Wahlbüros geben würde.

Die Menschen hier glauben, das die Roten Khmer wissen, wer zur Wahl geht und wer für deren Erzfeind, die Kambodschanische Volkspartei Hun Sens, stimmt. Und wie sollen die Menschen, die nie in ihrem Leben eine freie Wahl erlebt haben, dem Versprechen der UNO auch vertrauen können? Sek Sokhom selbst zeigt keine Furcht: „Wenn wir als Wahlhelfer Angst vor den Roten Khmer haben, geben wir gleichzeitig den Gedanken an die Demokratie auf.“

Der stellvertretende Wahlchef Bah ist zwar zuversichtlich, „daß die bewaffnete Polizeikomponente der UNTAC die Wahllokale über die drei Tage sichern kann“. Auch er rechnet in zwei Distrikten seiner Provinz, Muh Kampor und Khsach Kandal, mit bewaffneten Angriffen. „Dort haben die Roten Khmer das Ruder in der Hand.“ Doch: „Nichts kann uns davon abhalten, diese Wahlen bis zum Ende durchzuziehen.“

Judy Thompson, UNTAC- Wahlbeauftragte in den Bereichen Ausbildung von Wahlhelfern und Kommunikation, muß von ihrem Büro in Phnom Penh aus sicherstellen, daß tatsächlich alle 4,7 Millionen registrierten Wähler frei und unbeeinflußt ihre Stimme abgeben können. Am Sonntag um 8 Uhr morgens öffnen nach bisherigen Planungen und der gegenwärtigen Sicherheitslage die Zehntausenden von Wahllokalen im ganzen Land. Allerdings wird „in zwei bis drei Distrikten voraussichtlich nicht gewählt werden können.“ Dort nämlich, im Nordwesten Kambodschas, haben lokale Rote- Khmer-Führer Wahlen strikt verboten.

Um 16 Uhr sollen die Wahllokale schließen, die Urnen werden mit einem zweiten Siegel gesichert, von Soldaten der UNTAC übernommen und über Nacht an einen sicheren Ort gebracht. Am nächsten Morgen werden sie wieder ins Wahllokal transportiert. Nach den fünf Wahltagen wird die Auszählung einen bis drei Tage dauern, rechnet Judy Thompson, das Ergebnis wird bestenfalls nach einer Woche bekanntgegeben, „da wir mit Protesten der Parteien und Forderungen nach neuer Auszählung der Stimmen rechnen.“

Über die gesamte Prozedur wachen vor Ort 1.560 internationale Wahlleiter, im UN-Kürzel IPSO's (Internationale Wahl-Beobachtungs-Offiziere) genannt. 945 IPSO's wurden in der vergangenen Woche für diese Aufgabe aus der ganzen Welt eigens eingeflogen. 41 von ihnen aus Deutschland. Zunächst zur dreitägigen Schulung ins thailändische Jom Tien, Teil des einschlägig bekannten Badeortes Pattaya. „Daß es ausgerechnet eines der vornehmsten Hotels in Jom Tien sein mußte, verstehe ich auch nicht“, wundert sich einer der Freiwilligen. Denn die Realität in den Provinzen Reey Veng und Sway Rieng, wo die Deutschen im Einsatz sind, „unterscheidet sich doch ganz gehörig vom Fünf-Sterne-Hotel in Thailand“. Die 41 Wahlleiter, Beamte aus Bundes- und Länderbehörden, hatten Glück: „Sie haben die sicherste Ecke in Kambodscha erwischt“, versichert Wolfgang Lerke, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik beim Obersten Nationalrat in Phnom Penh. „Die Provinz ist frei von Roten Khmer, es ist unwahrscheinlich, daß es zu Zwischenfällen an den Wahltagen kommt.“ Die 41, unter ihnen fünf Frauen, wollen „für die paar Tage die Unbequemlichkeit gerne in Kauf“ nehmen.

Für den freiwilligen Job haben sie sich „aus politischem Interesse oder aus „Interesse an Asien“ gemeldet.