: Das Fleisch war oft zu schwach
■ Der Körper oder der Geist spielen nicht mit / Rund zehn Prozent der Läufer stiegen aus
Für Gundula Sievers (51) aus Hamburg ist es schon die sechste Teilnahme an einem Marathon. Auch diesmal strebte sie eine Zeit um die vier Stunden an. Aber das waren Pläne: Schon bei Kilometer zwölf, irgendwo auf der Reeperbahn, hat sie das Gefühl, alles ausgeschwitzt zu haben.“ Bei Kilometer 15 war dann erstmals in ihrer Laufkarriere die Lust da, aufzuhören: „Es hat keinen Zweck“, der Gedanke setzt sich fest. Bei Kilometer zwanzig ist es Gewißheit: „Wo ist eine U-Bahn, denk ich mir“, erzählt die malträtierte Läuferin. Gundula Sievers schafft es noch bis zur U-Bahn-Station Rübenkamp, dort ist für sie Endstation. „Ich hatte vor drei Wochen eine Grippe, vielleicht lag es daran,“ sucht sie nach Gründen.
Klein beigeben im Kampf gegen den eigenen Körper mußte auch Dirk Wesebeck. Dem 26jährigen Studenten nutzten bei seinem zweiten Marathon weder Gehpausen, noch Dehnübungen: „Das Fleisch war schwach,“ erinnert er sich: „Bei der letzten Massage bin ich einfach liegengeblieben.“
Indirekt gibt er auch den Zuschauern eine Mitschuld: Erst verleiten sie die Läufer durch Klatschen und Zurufen zu einem hohen Anfangstempo, und später, wenn der Läufer den Tribut dafür zollen muß, nutzen die Anfeuerungsrufe nichts mehr, „da nimmt man nichts mehr wahr, ist nur noch mit sich selbst beschäftigt.“
Doch damit ist das Rennen für die Aussteiger noch nicht gelaufen, schließlich müssen sie auf das Beste am Ganzen verzichten; jene alle Strapazen vergessen machende Glückshormon-Ausschüttung, welche sich merkwürdigerweise erst nach exakt 42,195 km einstellen will.
„Um den Lohn der Trainingsmühen betrogen,“ fühlte sich denn auch Dirk Wesebeck; und Gundula Sievers saß „mit Tränen in den Augen“ in der U-Bahn Richtung Fernsehturm, wo sie just in dem Moment eintraf, als die schnellste Hamburgerin die Ziellinie laufenderweise überquerte. Rainer Grießmann
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