: Unartige Kinder in Mahlers Idylle
■ Luciano Berio und Sabine Meyer konzertieren noch in der Musikhalle
und Sabine Meyer konzertieren noch in der Musikhalle
„Es wecket meine Liebe / die Lieder immer wieder!“ Für Luciano Berio sind es die frühen Lieder Gustav Mahlers, wie dieses mit dem Titel Erinnerung, die ihn faszinieren. Ursprünglich für Singstimme und Klavierbegleitung geschrieben, erklingen sie im philharmonischen Konzert der Musikhalle nun als Orchesterlieder.
Über hundert Jahre später instrumentiert der Zeitgenosse Berio ganz im Stile Mahlers Kompositionen, die noch wenig von Zerissenheit oder gebrochener Seinserfahrung wissen. Die Baritonstimme Wolfgang Holzmairs trifft jedoch mit ihrem Ton genau den Beginn einer Handschrift, die diesen Charakter gerade entwickelt. Am Rande zu allzu süßlich-wienerischem Schmelz singt er mit warmem Timbre Lieder von Sommer, Liebe, Erinnerung oder unartigen Kindern.
Berios Intrumentierung konterkariert diesen Gestus des Naiv- Lieblichen aber in Manier des späten Mahlers: verzerrende, bissige, parodistische Klangwelten stören die Idylle. Berio, auch in anderen Kompositionen wie der Sinfonia bekannt als Dialogpartner Mahlers, schöpft hier nach, schreibt fort und aktualisiert. Die „Erinnerung“, ein Lied, das gleich zweimal im Konzert erklingt, ist es, die Berio gestaltet und gegenwärtig macht.
Sein jüngstes Werk Continuo von 1991 spinnt die sich verlierende und umkippende Musik des frühen Mahlers fort. Das Werk beginnt mit einem sich sanft entfaltenden Klangteppich, der sich zu einem massigen Klangkörper entwickelt, mal mehr, mal weniger zu identifizieren zwischen dem An- und Abschwellen immer wieder repitierter Töne. Was sich wie ein roter Faden durchs Werk zieht, ist die Illusion von einer unendlichen Melodie, die auch das Werk überdauern kann, eben „Continuo“ bleibt.
Entspannend und fast ein wenig vorbeiplätschernd dagegen inszenieren Berio und Sabine Meyer an der Klarinette zusammen mit dem philharmonischen Orchester das Opus 120 Nr. 1 von Johannes Brahms. Auch dieses Werk instrumentiert Berio nach. Klangschön und angenehm wenig solistisch in Szene gesetzt, führt Sabine Meyer mit überzeugendem Gespür für diese Konzeption durch die Musik. Ein Werk, das sie nicht wie üblich als Virtuosin, sondern auch als Künstlerin mit sensibler Zurückhaltung in Szene setzt. Katrin Meyer
Musikhalle, heute, 20 Uhr
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