: "Raus aus der Opferrolle"
■ Oldenburger Schwulengruppen gegen antischwule Gewalt
“Raus aus der Opferrolle“
Oldenburger Schwulengruppen gegen antischwule Gewalt
Der Angriff im Park kam ohne Vorwarnung. „Ich hatte keine Chance, mich zu wehren“, sagt Ralf. Plötzlich — „wie aus dem Nichts“ — standen die zwei Jugendlichen vor ihm. „Du schwule Sau, ich hau' Dir was aufs Maul“, schrie der Jüngere und schlug zu. „Irgendwann konnte ich mich aufrappeln und weglaufen“, erinnert sich Ralf. „Wer weiß, was die sonst mit mir gemacht hätten.“
Das war im August vergangenen Jahres. Zwei Monate später wurde Ralf erneut Opfer antischwuler Gewalt, wiederum waren die Täter Jugendliche unter 20. „Tatsächlich haben wir es hier mit Jugendlichen zu tun, die teils wegen ihrer nicht verarbeiteten Homosexualität, teils aus einfacher –Lust und Laune' heraus zu Gewalttätern werden“, weiß Carsten Schuck vom Oldenburger Projekt „Gewalt gegen Schwule? Nicht mit uns!“ Zum ersten Mal schlossen sich im März sämtliche Oldenburger Schwulengruppen in diesem Projekt zusammen: darunter der Verein „Na Und?“, das Schwulenreferat des ASTA und der Verein „Homosella“, die Aids-Hilfe und Vertreter der schwulen Gastronomie. Dieser Zusammenschluß ist in Oldenburg bisher ohne Beispiel. „Diese Form der Zusammenarbeit ist ein Modell für die Zukunft“, konstatiert Carsten Schuck. „Darauf ließe sich zum Beispiel mittelfristig auch eine Art 'schwules Zentrum– in Oldenburg aufbauen.“
Anders als in den Metropolen Köln oder Berlin, wo das „Schwule Überfalltelefon“ allein im vergangenen Jahr 211 Gewalttaten gegen Schwule registrierte, liegen für Oldenburg noch keine Zahlen über das Ausmaß antischwuler Gewalt vor. Denn die wenigsten Betroffenen zeigen Gewalttaten an. Auch Ralf ging nicht zur Polizei. „Ich hatte keine Lust, denen zu erklären, was Schwule im Park machen. Das ist ein Stück homosexuellen Lebens, das viele Heterosexuellle einfach nicht verstehen.“
Indes häufen sich die Meldungen in der Oldenburger Szene über Gewalttaten. Carsten Schuck: „Für die Gewalttäter gelten Schwule als die idealen Opfer. Immer noch geistert in der Öffentlichkeit des Stereotyp des eingeschüchterten, feigen, schwachen Schwulen herum.“ Doch jetzt gilt: „Wir Schwulen wollen endlich raus aus der Opferrolle“. Widerstand soll demonstriert, die Gewalt nicht länger hingenommen werden. Der erste Selbstverteidigungskurs für Schwule ist bereits angelaufen, eine Art „schwule Streife im Park“ ist in der Diskussion. Flugblätter, Aufkleber und Plakate sollen zum einen die Öffentlichkeit auf antischwule Gewalt, zum anderen Schwule auf die Angebote des Projektes aufmerksam machen.
Außerdem will die Initative eine „Anlaufstelle für Opfer antischwuler Gewalt“ schaffen, die den Betroffenen „Hilfe in Form von Beratung und Betreuung bietet“. Ein Überfalltelefon wurde eingerichtet, dessen Mitarbeiter — auf Wunsch völlig anonym — Gewalttaten registrieren, die Betroffenen psychologisch betreuen und beim Gang zu Polizei und Justizbehörden unterstützen.
Die Voraussetzungen dafür — Polizisten, die sich auskennen in der Schwulenszene — müssen in Oldenburg erst geschaffen werden. Am Donnerstag um halb acht in der Uni-Bibliothek soll eine Podiumsdiskussion zum Thema „Gewalt gegen Schwule“ Betroffenen mit Vertretern von Justiz, Polizei und Kommunalpolitik ins Gespräch bringen. Noch gibt es keinen schwulen Kontaktbeamten nach Berliner Vorbild. Carsten Schmuck jedoch gibt sich optimistisch: „Die Polizei ist sicherlich zur Kooperation bereit“ — auch wenn sie bisher „eher zurückhaltend“ agiert habe.
Jens Dreder
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