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Kein leichtes Spiel

■ „Manege frei für eine ältere Dame“: Gudrun Ritter in den Kammerspielen des Deutschen Theaters

Lizzy ist kein junges Mädchen mehr, vielmehr eine richtige Dame. Trägt ihr halblanges braunes Haar unter einem braunen Hut; Hemdbluse, Hose und ein weiter, langer Mantel mit den eleganten Pumps dazu verleihen ihr eine gewissermaßen vernachlässigte schnöde Eleganz. Eine Diva, die bessere Zeiten gesehen hat — was in ihrem Fall einfach nicht wahr ist.

Wie viele ältere Damen ist Lizzy viel mit sich allein, spricht mit sich selbst. Welche Rollen sie gerne gespielt hätte: Ja, Herr Zirkusdirektor! Den Clown, die dumme Auguste! Dabei nestelt sie an einem Judenstern herum, der an ihren Finger bappt und nicht so einfach abgeht.

27 Jahre Operettensängerin, elf Jahre im Ruhestand. Lizzy versucht sich andere Rollen auszudenken. Aber sie kann keinen Text behalten. Ihre Geschichte und die Geschichte ihrer Leidensgefährtinnen hat sie nie erzählt, die schiebt sich jetzt mit aller Macht der Erinnerung vor, ein ungeschriebener, ungesagter Text, der abreißt und zwangsläufig wieder aufgenommen werden muß. Wie sie die Nummer auf ihrem Arm mit der Telefonnummer verwechselt hat (eine etwas kitschig wirkende Textstelle). Die Angst, die Schlaftabletten und die Deportation. Das Lager. Die Kinderbaracke gegenüber, ihr Abtransport. Die Gefährtinnen, die sagen: Du wirst überleben, du mußt die Wahrheit berichten. Die sie später nicht verschwieg, aber auch nie berichtet hat. Und so „ist das, was du sagst, nicht das, was du meinst“. Bleibt die Rolle der alten Studienrätin Lizmann, die sich weigerte, die lächerlichen anderthalb Meter vom Waggon zu springen. Aber Lizzy springt – in den Tod? Sie legt sich in einen Karton, wo Dunkelheit, Vergessen herrschen.

Gudrun Ritter als Lizzy spielt sich langsam nach vorne, an die Rampe. Zunächst durchstreift sie die abbruchreifen Hallen eines heruntergekommenen Varietés oder Tanzsaales (Bühne: Eberhard Keienburg), richtet sich eine Art Garderoben- oder Schminktisch her, auf dem sie Thermoskanne und Kofferradio postiert. Ihr Divatum ist frei von Eitelkeit, ihr Reden unsentimental. Nicht die Stunde der Selbstbespiegelung hat geschlagen (auch wenn der Spiegel als Requisite häufig eingesetzt wird), sondern vielmehr der Selbstbefragung.

Das Monologstück des einstigen DDR-Autors Lothar Trolle, vor kurzem von Jürgen Kruse in Frankfurt uraufgeführt, hat diesmal Tatjana Rese in Szene gesetzt. Sie läßt Lizzy in ihre Erinnerungslücken fallen: Pausen entstehen, Dehnungen. Das Spiel wird erst langsam eindringlicher und langsam spannender, die Vergangenheit rückt unausweichlich und unaushaltbar näher. Sanft schließt sich der Karton über der Schauspielerin.

Ein leises, kein leichtes Spiel – mit allen Schwächen eines Monologtheaters, das sich kaum anders als sauber konventionell, aber einsichtig oder völlig ausgeklinkt, aber hermetisch inszenieren läßt. Tatjana Rese hat sich für die weniger schrille Gangart entschieden, die kleine Form, einer Operettensängerin gemäß — dramatischen Stoff hat das Stück mehr als genug. Sabine Seifert

„Manege frei für eine ältere Dame“, Regie: Tatjana Rese. Bühne: Eberhard Keienburg. Mit Gudrun Ritter. Kammerspiele Deutsches Theater, Schumannstr. 13a, Nächste Aufführung: 25. Mai.

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