piwik no script img

Mieterschutz? In Irland? Von Ralf Sotscheck

„Die Iren sind ein Volk von Hausbesitzern“, hatte ein ehemaliger irischer Premierminister einmal stolz behauptet. Statistisch gesehen stimmt das: Immobilienbesitz ist auf der Grünen Insel stärker verbreitet als im EG-Durchschnitt. Aber so ist das nun mal mit Durchschnittszahlen: Die einen sind obdachlos, die anderen horten Häuser und Wohnungen. Nur gelegentlich, wenn die Schiebereien allzu dreist sind, mault das Durchschnittsvolk – wie im Fall der Mespil-Siedlung.

Die Sauerei begann im letzten Dezember, als die Versicherungsgesellschaft Irish Life, die zu 30 Prozent in Staatsbesitz ist, die Siedlung im vornehmen Dubliner Süden verscherbelte. Die 299 Wohnungen gingen wie warme Semmeln weg. Kein Wunder, wurden sie doch zum Schleuderpreis von 28.000 Pfund (knapp 70.000 Mark) angeboten. Normalerweise bekommt man dafür in dieser Gegend keinen Hühnerstall. In den Genuß des Sonderangebots kam ein Konsortium aus handverlesenen Leuten: der Generalstaatsanwalt, die beiden Töchter des Premierministers, einflußreiche Geschäftsleute, eine bekannte Fernsehjournalistin und andere illustre Kotzbrocken. Die kleine Investition hat sich gelohnt: Als vor drei Wochen 16 Wohnungen erneut auf den Markt kamen, kosteten sie schon mehr als das Doppelte. Eine erstaunliche Preissteigerung in Anbetracht des flauen irischen Immobilienmarktes. Der ehemalige Geschäftsführer der Bausparkasse „First National“, Joe Treacy, hatte von Anfang an den richtigen Riecher. Er legte sich drei Apartments zu – nicht schlecht für einen Arbeitslosen. Treacy mußte im März seinen lukrativen Job aufgeben, weil er seine Sekretärin monatelang sexuell belästigt hatte. Sein Kollege Michael Fingleton von der Irish-Nationwide- Bausparkasse kaufte gleich vier Wohnungen. Leider vergaß der Schussel, den zinsgünstigen Kredit in das Melderegister einzutragen, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist.

Die neuen EigentümerInnen verschickten erst mal Kündigungsbriefe an 20 MieterInnen, den anderen erhöhten sie die Miete um 25 Prozent – alles völlig legal, versteht sich, denn Mieterschutz ist in Irland unbekannt. Sicher, wer 20 Jahre lang in einem Apartment wohnt, hat dort automatisch 35 Jahre Wohnrecht. So weit lassen es die Eigentümer freilich nie kommen: Nach 19 Jahren werden die MieterInnen in andere Wohnungen verschoben, und die Frist beginnt von neuem. Die Mespil-MieterInnen gingen in ihrer Verzweiflung schließlich an die Öffentlichkeit. Das wirkte. Die im Grunde ihres Herzens zutiefst gütigen Immobiliengeier heuchelten gegenüber der Presse blankes Entsetzen: Das habe man nicht gewollt. Marian Finucane vom irischen Rundfunk behauptete gar, sie habe gar nicht gewußt, daß sie einem Konsortium angehöre. „Ich bin eine Einzelperson“, erklärte sie den verblüfften HörerInnen ihrer Radioshow. Diesen Bären ließen sich die MieterInnen freilich nicht mehr aufbinden. „Es gibt keine Entschuldigung für all die Marian Finucanes dieser Welt“, sagte die knapp 80jährige Grainne Crossan. „Man sollte meinen, sie hätten bisher auf einem anderen Planeten gewohnt.“ Wenn es eine höhere Gerechtigkeit gäbe, wäre das geldgeile Pack längst dorthin gebeamt worden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen