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Mostar – Schicksalsstadt der Muslime

Mostar ist der achte Kessel in Bosnien-Herzegowina / Die Hauptstadt der West-Herzegowina wird von Serben und Kroaten beschossen / In der osmanischen Altstadt sitzen 50.000 Menschen fest / Die Vorräte gehen nach zwei Jahren Krieg zur Neige, Wasser können die Eingeschlossenen nur unter Lebensgefahr holen / Serbische und kroatische Bosnier habe sich auf ihren Anteil an der ehemaligen jugoslawischen Republik geeinigt / Verlierer sind die Muslime  ■ Aus Mostar Erich Rathfelder

Der Blick von den Bergen auf die bosnische Stadt Mostar gibt noch nicht die Schrecken des Krieges preis, der hier seit einem Jahr mehr als 100.000 Bewohner in Atem hält. Tief im Tal durchstoßen die weißen Hochhäuser den leichten Morgennebel. Das grünliche Wasser des Neretva-Flusses bietet wie eh und je einen reizvollen Kontrast zu den braunen Felsen der umliegenden, hochaufsteigenden Berge. Erst auf halber Höhe sind die Wunden, die der Krieg gerissen hat, mit bloßem Auge zu erkennen. Zwischen modernen Appartementblocks ragen Stahlgerippe auf, die einstmals wie ihre Nachbarhäuser ausgesehen haben mögen. Bis vor kurzem wurde die Stadt von den Bergen auf der linken Seite der Neretva aus von bosnisch-serbischer Artillerie beschossen. Die Stellungen der serbischen Milizen sind auch heute noch zu sehen.

Unten im Tal angekommen, erschließt sich das volle Ausmaß der Zerstörungen. Die ausgebrannten Fensterhöhlen und Einschußlöcher an den Einfamilienhäusern zeigen an, daß nicht nur von oben, sondern auch in der Stadt selbst scharf geschossen wurde. Eine Moschee, die wie in sich zusammengesackt in Trümmern liegt, verweist auf die tragischen Geschehnisse der letzten Wochen. Die brutal und mit aller Härte geführten Auseinandersetzungen zwischen den bosnischen Muslimen und Kroaten der Stadt wiegen inzwischen genauso schwer wie die Angriffe der Serben. Die Moschee wurde vorige Woche von kroatischen Spezialisten gesprengt. Hier, auf der rechten Seite der Neretva, kontrollieren die Verbände der „Kroatischen Armee-Organisation“ (HVO), der irregulären Truppen der „Kroatischen Republik Herceg-Bosna“, den größten Teil der einstmals so glänzenden Stadt. Schon vor dem Blick in eine der Seitenstraßen, die zum alten Zentrum der Stadt führen, wird vor den kroatischen Soldaten gewarnt. „Passen Sie auf Heckenschützen auf“, rufen die Anwohner.

Nur dreihundert Meter entfernt beginnt der von den Soldaten der regulären bonischen Truppen kontrollierte Teil Mostars. Die rechter Hand des Flusses liegende Altstadt ist wie die linker Hand liegende Neustadt trotz aller Angriffswut der Kroaten nach wie vor in der Hand der bosnischen Armee. Von den serbischen Streitkräften von den Bergen aus bedroht und gleichzeitig von den Kroaten eingeschlossen, stehen die verbliebenen rund 50.000 moslemischen Einwohner buchstäblich mit dem Rücken zur Wand. Niemand kann mehr diesen Teil der Stadt verlassen, seit die Straße sowohl nach Westen als auch nach Osten von der kroatischen HVO geschlossen wurde. „Die Muslime sind selbst schuld an der jetzigen Situation“, erklärt einer der kroatischen Soldaten, die im Schutze eines Hauseingangs herumlungern. „Letztes Jahr haben wir Kroaten sie gegen die Serben verteidigt. Wir haben ihnen sogar Waffen gegeben. Hunderttausende von Flüchtlingen haben wir aufgenommen. Jetzt aber richten sie ihre Waffen gegen uns, das ist doch undankbar.“ Mostar sei nun einmal die Hauptstadt der kroatischen „Republik Herceg- Bosna“, sagt ein anderer. Dann unterbricht ein Offizier das Gespräch. „Die Soldaten haben keine Erlaubnis, mit der Presse zu sprechen“, erklärt er barsch. Auskünfte könnten nur die offiziell befugten Sprecher geben.

Vešo Vegar ist befugt. „Wir werden uns nicht Kroatien anschließen, sondern wir halten uns an den Vance-Owen-Plan, den wir erfüllt sehen wollen“, erklärt der Sprecher der HVO mit breitem Lächeln. Seit am 18. Mai im westherzegowinischen katholischen Wallfahrtsort Medjugorje unter der Aufsicht der EG- und UNO- Verhandler Owen und Stoltenberg zwischen dem bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović, dem Führer der Kroaten von Herceg- Bosna, Mate Boban, und dem kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman ein Abkommen getroffen wurde, habe sich die Lage zwischen bosnischer Armee und HVO entspannt. Zuerst sollten, so der offizielle Sprecher, eine neue Stadt- und eine Regionalregierung etabliert werden, in der die kroatische Seite jeweils den Führungsposten innehabe. Die Stellvertreter sollten gemäß der Absprache Muslime sein. „In einem Abkommen haben am gestrigen Donnerstag beide Seiten zugestimmt, einen absoluten Waffenstillstand einzuhalten“, erklärt Vegar. Kroaten und bosnische Armee würden ihre Truppen von der Demarkationslinien zurückziehen, Militärpolizei solle die Grenze sichern. Später sollen dann gemischte Streifen in Begleitung durch UNO-Soldaten die Waffenruhe überwachen. Alle Gefangenen würden freigelassen, Verwundete und Tote ausgetauscht. „Die von uns evakuierten Zivilisten, auch Frauen und Kinder, sind schon frei. Jetzt ist die Gegenseite am Zug.“

Es ist nicht einfach, auf diese Gegenseite zu gelangen. Trotz der angeblichen Waffenruhe hallen nach wie vor Schüsse durch die Straßen Mostars. Nur im gepanzerten Wagen ist es möglich, über einen flußaufwärts liegenden beschädigten Damm auf das von der bosnischen Armee kontrollierte Gebiet zu gelangen. Fast alle Häuser haben etwas abgekriegt. „Das passierte schon durch die Artillerieangriffe der Serben, doch auch die Kroaten haben jetzt Artillerie eingesetzt“, erklärt ein Offizier der bosnischen Armee. In seiner Stimme schwingt etwas Stolz mit: Seine schlecht ausgerüsteten Soldaten haben all den tagelangen Angriffen standgehalten. Selbst als die Kroaten am 16. Mai einen Tanklastzug in der Nähe der Altstadt zur Explosion brachten, hätten die Reihen der Verteidiger nicht gewankt. Doch es habe auf beiden Seiten viele Verletzte gegeben.

Von der Straße aus lohnt sich ein kurzer Blick die Tito-Brücke. Das Denkmal, das an „Bratstvo i Jedinstvo“, an die Brüderlichkeit und Einheit aller Jugoslawen erinnern sollte, wurde schwer beschädigt. Die etwas unterhalb liegende berühmte, von den Türken errichtete „Brücke über die Neretva“ ist glücklicherweise noch intakt. Im Eiltempo huschen einige Gestalten über den kühn geschwungenen Steinbogen des alten Baus, dessen filigrane Architektur offenbar sogar der heutigen Soldateska noch einen gewissen Respekt einzuflößen scheint. „Das schlimmste ist, daß wir bei dieser Hitze kein Wasser haben“, sagt die alte Frau, die sich mit einem Eimer und einem Strick müht, Wasser aus dem Fluß holte. „Während der Schießereien konnten wir nur nachts raus, um Wasser zu bekommen.“ In den Monaten der Belagerung gingen auch die anderen Vorräte bald zur Neige. „Verstehen Sie, warum alles kaputtgeschossen wird?“ Der Muslimin treten die Tränen in die Augen. „Meine Familie lebt hier schon seit Jahrhunderten. Mich kriegt hier niemand weg.“ Auf die Frage aber, wie es weitergehen soll, hat die Professorin aus Sarajevo auch keine Antwort. Sie schüttelt den Kopf. Mit einem Kroaten aus Mostar verheiratet, erlebte die Muslimin den Ausbruch des Krieges zufällig in Mostar. Seitdem lebt sie hier und fragt sich, ob das Leben in Sarajevo dem Schrecken an der Neretva nicht vorzuziehen wäre. „Ich möchte jetzt nicht einmal meinen Namen nennen, ich habe Angst vor der Zukunft“, sagt sie leise. „Nach all den Verbrechen, die von der HVO in den letzten Wochen begangen wurden, sind die Kroaten auch noch von den internationalen Organisationen bei den Verhandlungen in Medjugorje belohnt worden“, erklärt sie bitter. „Die Implementierung des Vance-Owen- Plans hier in der Stadt und in Zentralbosnien bedeutet nichts anderes als die Machtübernahme durch die Kroaten. Zuerst versuchten sie es mit Waffengewalt, jetzt über die Verhandlungen.“ Wie schon gegenüber den Serben würde die Welt auch bei den Kroaten über die begangenen Verbrechen hinwegsehen. „Was nützt ein Protest von EG-Außenministern gegenüber dem kroatischen Vorgehen, wenn dann doch die Angreifer recht bekommen?“ Das schlimmste aber sei, daß sich angesichts der allgemeinen Lage die „Bosnier den nationalistischen Extremisten beugen müßten“.

In den kroatischen Stadtteil zurückgekehrt, beharrt der kroatische Sprecher Vešo Vegar auf seinem Standpunkt. „Der Vance- Owen-Plan spricht den Kroaten diese Gebiete zu. In dem Abkommen von Medjugorje sind alle Einzeilheiten und auch die Modalitäten der Umsetzung präzisiert. Auch die bosnisch-herzegowinische Regierung wird das bald einsehen müssen.“ Für den HVO- Sprecher ist völlig klar, daß der Staat Bosnien-Herzegowina endgültig zerstört wäre, wenn das Abkommen nicht umgesetzt wird. „Der EG-Vermittler Lord David Owen hat ganz klar gesagt, daß der Plan gescheitert ist, wenn es zu weiteren Kämpfen kommt. Ganz gleich, welche Partei neue Gefechte begänne.“ Für diesen Fall bliebe der kroatischen Seite nur noch die Möglichkeit, Herceg- Bosna als eigenständigen Staat auszurufen. Auf die Frage, ob dann die Kämpfe gegen die bosnische Armee wieder aufgenommen würden, will Veo Vegar jedoch keine Antwort geben.

Ebensowenig äußern will sich Peter Kessler vom Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen (UNHCR). Der UNCHCR-Vertreter in Mostar stahlt einen leichten Optimismus aus. Immerhin sei durch die Konferenz von Medjugorje ein Waffenstillstand zwischen HVO und bosnischer Armee denkbar geworden. Auf seiten der bosnischen Armee wurden bisher 40 Kriegsgefangene freigelassen, und auch die meisten von den Kroaten gefangenen muslimanischen Zivilisten sind mittlerweile frei. Lediglich 40 Kriegsgefangene sind nach Informationen des UNHCR noch im Stadion der Stadt interniert. Ungefähr 3.000 Personen auf kroatischer Seite wollten in den muslimanischen Teil wechseln, fast 1.000 Kroaten vom bosnisch kontrollierten Gebiet auf das kroatische. Auch über den Austausch von Toten und Verletzten solle schon bald gesprochen werden. Doch über die weiteren Friedensaussichten will sich Kessler nicht auslassen. „Ich bin doch kein Politiker“, sagt er.

Die Dämmerung hat eingesetzt, als wir Mostar verlassen. Von halber Höhe aus sind die Zerstörungen in der Stadt nicht mehr zu erkennen. Und auch die wenigen Menschen und Autos verschwimmen in der Dunkelheit. Mostar, die geteilte Stadt, ist zu einem Symbol für das Schicksal der muslimischen Bevölkerung in ganz Bosnien-Herzegowina geworden. Die Muslime von Mostar sind eingekesselt, von serbischer und kroatisch-herzegowinischer Seite aus bedroht. Eingekesselt wie Sarajevo, Zenica und Tuzla.

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