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Klimaforschung unter Eisbären

■ Bremens Polarflugzeuge waren zwischen zwei Arktis-Expeditionen auf Heimaturlaub

hier das Flugzeug

Wer bei Polarforschung an Hundeschlitten und vereiste Bärte denkt, der lebt hinterm Mond. Heute fliegen die Polarforscher mit der Propellermaschine zu ihren Einsatzorten und sind außerdem glattrasiert. Gestern besuchten die zwei Polarflugzeuge des „Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung“ (AWI) aus Bremerhaven, die „Polar 2“ und die „Polar 4“ mit ihren Besatzungen die Heimat Bremen. Die beiden Flugzeuge waren im Februar/März auf Expedition in den Nordpolargebieten.

Polarforscher irren auch nicht mehr wochenlang durch den Schneesturm, um irgendwo die Fahne ihres Landes zu hissen. Heute beschäftigen sie sich mit Geophysik, Glaziologie, Meteorologie und Ozeanographie und betreiben Grundlagenforschung zum Klimasystem der Erde und zur Kontinentaldrift. Und wenn sie von vier Wochen Expedition nach Hause kommen, bringen sie „vier Gigabyte Datenmaterial“ mit — den Speicherumfang von 160 Personalcomputern.

Der Einsatz am Nordpol im Frühjahr hieß „REFLEX II“ und war sehr erfolgreich, sagt Expeditionsleiter Christoph Kottmeier. Es ging um den Einfluß des arkti

schen Eises auf das Weltklima. „Das Eismeer gibt sehr viel Energie in die Atmosphäre ab. Von einem Quadratkilometer eisfreien Meeres gehen 800 Megawatt in die Luft über — das ist soviel wie die Leistung eines Heizkraftwerks.“ Doch auch die fast geschlossene Eisdecke in der Arktis gibt noch bis zu fünfzig Prozent dieser Wärme ab. Und trotzdem, wunderten sich die Forscher, gab es in

diesem Winter so wenig Eis wie lange nicht mehr im Nordatlantik. Hier gleich über den Treibhauseffekt als Ursache zu spekulieren, fällt den vorsichtigen Wissenschaftlern nicht ein. Nur soviel können sie sagen: „Wir erleben derzeit einen globalen klimatischen Wandel.“

Sechs Wochen waren die zwei Bremer Flugzeuge auf Spitzbergen und starteten bei gutem Wetter jeden Tag zu fünf-bis sechsstündigen Erkundungsflügen. Im Tiefflug bei 30 Metern ging es mit zwei Piloten und zwei Wissenschaftlern an Bord über das Eis, um mit einem „Turbulenzmessystem“ unter den Flügeln Daten zu sammeln oder die Wärmestrahlung und Strahlungsreflexion sowie die Rauhigkeit des Eises zu testen. Insgesamt flogen die „Polar 2“ und die „Polar 4“ so 3300 Kilometer über das nördliche Eis, maßen die Strahlungsdurchlässigkeit der arktischen Wolken und testeten neue Instrumente.

Ein bis zwei Jahre wird es dauern, bis die Daten der „REFLEX II“-Mission ausgewertet sind. Doch die Flugzeuge, deren Betreib im Jahr 7,5 Millionen Mark kostet, starten bereits wieder im Juni nach Grönland. Dort sollen sie per Radar das Inlandeis duchleuchten.

Heinz Miller, Leiter der Sektion Geophysik beim AWI, will so der Klimageschichte der Erde auf die Spur kommen, die sich im Eis verbirgt. Auch über die „dynamische Entwicklung“ der Kontinentaldrift vor Grönland sollen die Flugzeuge Daten sammeln und Wissenschaftler bei einer 800-Kilometer-Expedition über das Grönlandeis durch Transportflüge unterstützen.

Horst Heller und Thomas Wede, zwei Piloten der Polarflugzeuge, sehen in ihren orange Fliegerkombis nicht aus wie Draufgänger. Aber wenn sie erzählen, klingt es wie das letzte große Abenteuer über den Wolken: Ausweichplätze zum Landen gibt es nicht, der Sprit für die Reichweiten muß exakt ausgerechnet werden, sie fliegen meistens auf Sicht und kennen keine Sperrgebiete. Wenn nötig, können sich die Flugzeuge beim Landeanflug mit den Skiern ihre eigene Landebahn glattbügeln. Technische Probleme hatten die Flieger trotz mancher Schneestürme auch bei 30 Grad Kälte nicht, sagen sie. Nur in Spitzbergen, am Flugplatz, da treiben sich die Eisbären rum: „Da hat man besser ein Gewehr im Flugzeug.“

Bernhard Pötter

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