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Nahost: Gaza first?

■ Rabin befürwortet schnelle Verhandlungslösung für den Gaza-Streifen / Unklare Perspektive für weitere Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Arabern

Tel Aviv (taz) – Zum ersten Mal hat sich der israelische Ministerpräsident Rabin zustimmend zu einem früher von Außenminister Peres und anderen Politikern vorgeschlagenen „Gaza first“-Projekt geäußert. Dabei geht es um den Vorschlag, daß sich Israel in erster Linie vom Gaza-Streifen mit seinen 800.000 palästinensischen Einwohnern, zumeist Vertriebene und Flüchtlinge aus dem heutigen Israel, trennt. Dort gibt es nur eine kleine Anzahl jüdischer Siedlungen, und eine „historische Verbundenheit“ zum Gaza-Streifen wurde von isralischer Seite, anders als im Fall Ostjerusalems und der Westbank, nie behauptet. Ein Großteil der israelischen Öffentlichkeit sieht überdies in dem verarmten und überbevölkerten Gebiet nur eine Belastung und angesichts des militanten Widerstandes ein unnötiges Sicherheitsrisiko. Rabin selbst hat bei einer Gelegenheit gesagt, es wäre schön, wenn der Gaza-Streifen einfach im Meer versinken würde. Eine separate Lösung für den Gaza-Streifen würde sicherstellen, daß die Palästinenser einstweilen zu keiner territorialen und politischen Einheit kommen können. Unter den Palästinensern gibt es zahlreiche Stimmen, die das israelische Gaza-first-Projekt als weiteren Parzellierungsversuch bezeichnen, der Land und Leute in voneinander abgetrennten Enklaven im Sinne der südafrikanischen „homelands“ halten soll: mit eigener lokaler Selbstverwaltung, aber ohne Selbständigkeit und unter ständiger Bewachung der israelischen Behörden.

Mitglieder der palästinensischen Delegation haben den von Rabin vage formulierten positiven Hinweis auf den Gaza-first-Vorschlag jedenfalls als Spaltungsmanöver abgelehnt. Andererseits behaupten amtliche Kreise in Jerusalem, daß PLO-Führer Arafat in Signalen oder Geheimbotschaften an die israelische Regierung seine Zustimmung für eine Gaza-first- Lösung gegeben haben soll.

Der Generalkommissar der UNRWA, Ilter Türkmen, und der Präsident des Internationalen Roten Kreuzes, Cornelio Sommaruga, haben während ihres Besuches in Israel und den besetzten Gebieten Klage über die israelischen Unterdrückungsmaßnahmen vor allem im Gaza-Streifen geführt. Nach Angaben des israelischen Informationszentrums B'Tselem in Jerusalem wurden in den vergangenen 4 Monaten 37 Kinder in den besetzten Gebieten von Israelis erschossen.

Der UNRWA- Generalkommissar erklärte, daß die bereits zwei Monate lange Abriegelung der besetzten Gebiete zu einer größeren Gewalttätigkeit und zu einer allgemeinen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage wesentlich beigetragen hat. Der UNRWA- Chef und der Präsident des IRK kritisierten auch die Zerstörung palästinensischer Häuser durch israelische Truppen und die Abriegelung Ost-Jerusalems von der besetzten Westbank. Nach Ansicht des IRK-Präsidenten verstößt Israel gegen Grundsätze der 4. Genfer Konvention von 1949.

Bei der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten herrscht das Gefühl, daß die Unterdrückungsmaßnahmen eng mit den Schlägen und Demütigungen zusammenhängen, welche die palästinensische Delegation in der letzten Washingtoner Runde einstecken mußte. Unter solchen Umständen stimmt ein Großteil der Bevölkerung mit dem Delegationsleiter Haidar Abdel Schafi überein, der die weitere palästinensische Beteiligung an den Verhandlungen von der Realisierung einiger ihrer Forderungen und Versprechen der israelischen Regierung abhängig macht. Die Mehrzahl der Bevölkerung scheint auch die Forderung nach Einberufung von Konferenzen aller palästinensischer Organisationen zu unterstützen, damit die Einstellung des Volks zu den Verhandlungen auf demokratische Weise zum Ausdruck kommen kann. Allem Anschein nach gibt es diesbezüglich jedoch weiter heftige Differenzen innerhalb der PLO-Führung. Amos Wollin

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