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Modrows Alternative: „Ritual oder Sturz“

■ Freispruchanträge im Modrow-Prozeß / Fünf Gründe der Verteidigung

„Hans Modrow ist im Sinne geltenden Rechts nicht schuldig.“ Diese lapidare Feststellung versuchten gestern die beiden Anwälte des ehemaligen Dresdner SED-Bezirkschefs und heutigen PDS-Bundestagsabgeordneten mit leidenschaftlichen, streckenweise brillanten Plädoyers zu begründen.

Fünf Gründe, „von denen jeder für sich allein genommen eine Bestrafung ausschließt“, würden einer Verurteilung entgegenstehen, faßte Modrow-Verteidiger Friedrich Wolff zusammen: Die Geschichte der DDR werde „juristisch von Westdeutschen bewältigt“, so sein erster Vorwurf. Dies könne nicht unparteiisch geschehen.

Zweitens gebe es heute „kein Gesetz, das die angeklagte Tat“, nämlich Anstiftung zur Fälschung der Kommunal-Wahlergebnisse im Bezirk Dresden vom 7. Mai 1989, „unter Strafe stellt“. Mehr noch, die Tat sei „nicht erwiesen“, statt dessen seien Vermutungen und Klischees, wie das vom „Bezirksfürsten Modrow“, gehandelt worden.

Als von der Verteidigung bereits angekündigtes „Bonbon“ präsentierte Wolff dann den Paragraphen 20 StGB DDR: die Vorschrift regelte den „Widerstreit der Pflichten“. Danach hatte keine Straftat begangen, wer „sich nach verantwortungsbewußter Prüfung der Sachlage zur Begehung einer Pflichtverletzung entscheidet, um durch Erfüllung anderer Pflichten den Eintritt eines größeren, nicht abwendbaren Schadens für andere Personen oder die Gesellschaft zu verhindern“. Genau in diesem Widerstreit habe Modrow gestanden, der von allen Zeugen als „Hoffnungsträger“ beschrieben worden war. Weder diese Vorschrift noch der Paragraph 25 StGB DDR, so das von Friedrich Wollf vorgebrachte fünfte Freispruch-Argument, seien im Prozeß von der Staatsanwaltschaft beachtet worden.

Nach Paragraph 25 war von Strafe abzusehen, „wenn die Straftat infolge der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaftsverhältnisse keine schädlichen Auswirkungen hat.“ Was soll, fragte der Anwalt, nun noch die Verfolgung der angeblichen Tat?

Entweder die Teilnahme am „DDR-üblichen Ritual“, so Modrows zweiter Rechtsanwalt Heinrich Hannover, oder der politische Sturz: So habe die Alternative für Modrow ausgesehen. Die Anklage wolle einfordern, daß er „schon im Mai 1989 hätte zum Helden werden sollen“. Doch die Parole auszugeben, „wir machen den Wahlbetrug nicht mit“, das wäre „Maulheldentum“ gewesen. Modrows Ziel sei nicht der ihm unterstellte „nackte Machterhalt“ gewesen, sondern die Chance, „innerparteiliche Opposition gegen den bisherigen Führungsstil der SED-Spitze zum Erfolg zu führen.“

Scharfe Kritik äußerte Rechtsanwalt Wolff am kürzlich vom Verfassungsgericht bestätigten BGH-Urteil zum Berghofer-Prozeß. Mit dieser Rechtsprechung werde die Einheit Deutschlands „zu einer bloßen Gesetzgebung degradiert“.

Nach Auffassung der Verteidiger waren die Wahlen zu den DDR-Volksvertretungen und die Wahlen in der Bundesrepublik unterschiedliche Rechtsgüter. Die DDR-Wahlen waren damals noch nicht durch bundesdeutsches Recht und sind heute nicht mehr durch DDR-Recht geschützt. Der Widerspruch zwischen beiden Auffassungen betreffe „Grundfragen der Entwicklung Deutschlands und seines Rechts“, folgerte Wolff. Schließlich appellierte er an das Gericht, „einen der ersten Schritte aus der gegenwärtigen deutschen Zwietracht“ zu gehen und ein „Signal der Versöhnung“ zu zeigen.

Die Staatsanwaltschaft hat für Modrow 14 Monate Haft, ausgesetzt zur dreijährigen Bewährung, beantragt. Sich „bewähren“ oder hinter Gitter gehen sollen auch die drei Mitangeklagten. Das Urteil wird am Donnerstag bekanntgegeben. Detlef Krell

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