: Trotz der Stimmungsmache einiger CDU-Politiker gegen die morgige Bundestags- blockade anläßlich der Asylentscheidung sehen die Organisatoren der Aktion sowie die Polizei dem Spektakel mit Gelassenheit entgegen. Aus Bonn Bernd Neubacher
„Für Menschenrechte aufstehen, nicht umfallen“
Autonome Krawallfahrer veranstalten innerhalb der Bonner Bannmeile eine große Bambule und hindern die Abgeordneten am Zugang zum Parlament, 5.000 Polizisten knüppeln den Volksvertretern durch ein Spalier fanatisierter Haßkappen den Weg zum Parlament frei – so das Szenario christdemokratischer Politiker für die morgige Bundestagsblockade in Bonn. Tatsächlich liegen am Tag vor der Asyldebatte keinerlei Anzeichen für Ausschreitungen vor, einzig bei der Asylkoalition liegen die Nerven blank. Demo-Organisator Manfred Stenner, heißt es im Bonner Polizeipräsidium, gelte als „Garant für den friedlichen Verlauf von Demonstrationen“.
Seit Anfang der achtziger Jahre bringt das 39jährige Mitglied im Bonner Kreispolizeibeirat die Großdemos der Friedensbewegung in Bonn problemlos über die Bühne. Auch von autonomer Seite verlautete am Wochenende, man wolle am Mittwoch „einen politischen Verlauf“ des Protestes. Die Polizei stellt sich zwar auf ein Verkehrschaos durch verschiedene Blockaden ein, Angriffe auf Personen aber schließt man aus. Wie Manfred Stenner vom „Trägerkreis Asylrecht“ mitteilt, will die Polizei wegen des befürchteten Verkehrschaos den Abgeordneten durch Begleitschutz zu Wasser, zu Land und in der Luft den Zugang zum Parlament sichern. Auf diese Weise sollen Konfrontationen an Sitzblockaden und Straßensperren vermieden werden.
Während sich der Protest im Vorfeld berechenbar wie selten darstellt, ist das Chaos ganz auf seiten der Parteien. Die Verfassungsänderung ist zur Hängepartie geworden. „Die SPD muß sich ja jetzt erst mal neu formieren“, formulierte ein Polizeisprecher kurz nach dem Rücktritt von Kanzlerkandidat Engholm nicht einmal zynisch seine momentanen Probleme im Rahmen der Vorbereitungen für den Tag der zweiten und dritten Lesung der Asylgesetze. In den letzten Wochen wurde das Datum der Debatte Gegenstand eines munteren Hin und Hers, dreimal mußte sich die Öffentlichkeit auf neue Termine einstellen.
Wenn schon die Verfassungsänderung zum Eiertanz wird, soll wenigstens das Drumherum stimmen. Unverhältnismäßig allergisch reagiert die Asylkoalition auf die geplanten Protestaktionen. „Gotteslästerung“ nannte CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble den Gottesdienst, den die „Christen pro Asyl“ morgen in der Bannmeile feiern wollen. Der gut 70jährige Dominikanerpater und Münsteraner Sozialphilosoph Paulus Engelhardt soll dort predigen.
Auch Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth legt sich gegen die Proteste ins Zeug. Nachdem sie bereits vor Wochen im Abgeordnetenhaus den Telefonanschluß des fraktionslosen Parlamentariers Ulrich Briefs hatte sperren lassen, der seinen Apparat als Informationsstelle für zivilen Ungehorsam in der Bannmeile angegeben hatte, wandte sie sich letzte Woche per Rundschreiben an die Mitglieder des Bundestages: „Massive Versuche“ seien angekündigt worden, „den Bundestag zu blockieren und die Plenarsitzung zu stören“, entnahmen die Parlamentarier dem Brief. „Im Interesse Ihrer Sicherheit wird empfohlen, Fahrzeuge ausschließlich über die Fahrbereitschaft abzurufen.“ Nach Ansicht des Bonner Polizeipräsidenten Michael Kniesel entsprechen übertriebene Befürchtungen „keiner seriösen Gefahrenprognose“.
Ein Unruheherd ist in den Augen Süssmuths offenbar auch der morgige Gottesdienst. Auf ihr Geheiß hat vorige Woche, wie Insider zu berichten wissen, der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor aus Düsseldorf in Bonn anreisen müssen. Tenor der Audienz bei Süssmuth: Der Gottesdienst muß raus aus der Bannmeile. Mit demselben Anliegen wandte sich bereits zuvor Johannes Vöcking, Staatssekretär im Innenministerium, an Polizeipräsident Michael Kniesel. Bonns Oberpolizist hatte den Gottesdienst, der nach § 17 des Versammlungsgesetzes nicht unter das Versammlungsverbot des Bannmeilengesetzes fällt, zwar nicht wie beantragt vor dem Parlamentsgebäude genehmigt, jedoch in der Verbotszone zweihundert Meter entfernt. Beobachter sprechen von einem „unglaublichen politischen Druck“, der auf Kniesel laste. Bundespolitiker sähen das Versammlungsverbot des Bannmeilengesetzes bröckeln, falls der Gottesdienst dort stattfände. Insider erwarten, daß sich Polizeipräsident und Christen auf einen neuen Ort in der Bannmeile einigen werden. Die Teilnehmer des Gottesdienstes treffen sich morgen um 8.30 Uhr gegenüber dem Kunstmuseum an der Bonner Heussallee.
Gestern vormittag lud das „Büro für notwendige Einmischung“ die Presse zur Vorabpräsentation seiner „Infrarotanlage zur Abwehr von Politikern aus sicheren Drittbüros und von sicheren Landeslistenplätzen“. Auf dem Bonner Münsterplatz findet heute abend eine erste Kundgebung statt mit Redebeiträgen unter anderem von Herbert Leuninger von „Pro Asyl“, dem Bundesvorstandsmitglied der Grünen, Ludger Volmer, sowie Vertretern von amnesty international, der Gottesdienstgruppe „Christen pro Asyl“ und der Minderheit der Asylbefürworter in der SPD. Anschließend begibt sich eine Nachtmahnwache zum Regierungsviertel.
Morgen früh um 6.00 Uhr bereits wird das Städteplenum eine Kundgebung am städtischen Kunstmuseum abhalten. „Als offenes Geheimnis gilt“, heißt es in einer Mitteilung des „Trägerkreis Asylrecht“ über die Beteiligten der Veranstaltung, „daß von einigen Gruppen durch Verkehrsberuhigungen die anreisenden MdBs auf die Besonderheit der Entscheidung hingewiesen werden sollen“. Wenige hundert Meter weiter an der SPD-Parteizentrale treffen sich um 7.00 Uhr die Teilnehmer der „Aktion Ziviler Ungehorsam“, die zum friedlichen Marsch in die Bannmeile und zum Sitzstreik vor dem Plenarsaal aufrufen. Die Initiatoren Klaus Vack, Joachim Hirsch und Wolf-Dieter Narr, Mitglieder des Komitees für Grundrechte und Demokratie, weisen in ihrem Aufruf darauf hin, daß Bannkreisverletzungen in der Regel mit Geldstrafen zwischen 15 und 40 Tagessätzen geahndet werden. 1.600 UnterstützerInnen zeichnen durch ihre Unterschrift für den Aufruf persönlich verantwortlich.
Von 8.00 Uhr morgens bis abends finden neben einer Dauermahnwache die Kundgebungen des „Trägerkreis Asylrecht“ und Happenings des „Büro für notwendige Einmischung“ statt. Der Trägerkreis sieht unter anderem Beiträge folgender Redner vor: Thomas Pforth (Initiative Schwarze Deutsche), Fatima Hartmann (Rom e.V.), Angelika Beer (medico international), Peter Gingold (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes), Ingrid Köppe (MdB Bündnis 90/Grüne), Gregor Gysi (MdB PDS), Jürgen Trittin (Minister Niedersachsen) und Herbert Leuninger (Pro Asyl).
Das „Büro für notwendige Einmischung“ will dem Tag auf einer als Abschiebeflugzeug gestalteten Bühne einen kabarettistischen Rahmen verleihen. Ferner sind ein Diskussionszelt mit Fernsehübertragung aus dem Plenarsaal und zusätzliche Ausstellungen geplant. Die Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichtes über die Klage des Trägerkreises gegen Bundesinnenminister Rudolf Seiters auf Zugang in die Bannmeile stand gestern noch aus. Wird Seiters' ablehnender Bescheid bestätigt, werden Einmischungsbüro und Trägerkreis vor der Bundeskunsthalle an der Heussallee agieren, am Rand der Bannmeile. „Für Menschenrechte“, heißt es im Aktionsaufruf, „muß man aufstehen, nicht umfallen.“
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