■ Nach dem Massaker der PKK: Dem Staat aus der Patsche geholfen
Es ist wahr, daß der türkische Staat sich nicht um den im März verkündeten Waffenstillstand des Guerillaführers Abdullah Öçalan scherte. Die türkische Armee griff weiterhin Stützpunkte der PKK in den Bergen an, und nach wie vor herrschte staatliche Repression und Unterdrückung in den kurdischen Provinzen. Doch der Waffenstillstand hatte nachhaltig die türkische Kurdistan-Politik in Bewegung gebracht. Die Öffentlichkeit drängte nach einem friedlichen, demokratischen Kompromiß in der Kurdenfrage.
PKK-Chef Öçalan hatte seinen Beitrag hierzu mit der Verkündung des Waffenstillstandes geleistet. Die türkischen Politiker standen im Kreuzfeuer von Journalisten und Öffentlichkeit. Offensichtlich quälte sich der türkische Innenminister mit kritischen Fragen in Fernsehdiskussionsrunden ab. Die PKK hatte ihr Nahziel erreicht: Die kurdische Frage war Nummer eins auf der politischen Agenda, und die Zeichen auf politische Liberalisierung standen nicht schlecht. Anfang der Woche beschloß die türkische Regierung eine Teilamnestie für PKK-Partisanen, und noch im Sommer sollte der Ausnahmezustand in Türkisch- Kurdistan aufgehoben werden. Mit dem jüngsten Massaker an unbewaffneten Soldaten in der Provinz Bingöl hat die PKK all diese positiven Ansätze zunichte gemacht.
Illusionen über den Charakter des türkischen Staates und seine Kurdistan-Politik brauchte man sich nie zu machen. Doch dieser Staat war nach dem Waffenstillstandsangebot in Legitimationszwängen. Die PKK hat mit dem jüngsten Massaker eben diesem Staat aus der Patsche geholfen. PKK-Chef Öçalan muß sich entscheiden. Man kann nicht gleichzeitig mit Schlips und Krawatte im libanesischen Bekaa-Tal auftreten und von Waffenstillstand und politischer Wende reden, wenn gleichzeitig die Organisation Busreisende umbringt. Die PKK steht vor der Alternative: Entweder wird ein politischer Dachverband mit anderen kurdischen Organisationen aufgebaut, der PLO-ähnlich die Interessen der Kurden in der Türkei vertritt und Politik betreibt, oder die PKK macht weiter mit ihrem bewaffneten Kampf, um Kurdistan vom türkischen Staat abzutrennen. Beides zusammen geht nicht: nach internationaler Anerkennung streben und Terrorismus betreiben. Der Sache des kurdischen Volkes hat der Anschlag großen Schaden zugefügt. Ömer Erzeren, Istanbul
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen