■ Die Chancen für einen Neuanfang scheinen im Berliner Akademie-Streit endgültig vertan: Wider die friedliche Koexistenz
Die monatelangen zermürbenden Auseinandersetzungen um die jeweilige Vergangenheit und die gemeinsame Zukunft haben die Protagonisten im Akademiestreit abgehärtet und einander überdrüssig werden lassen. Die von Akademie-West-Präsident Walter Jens beschworene Tradition der auf einträchtiger Zwietracht beruhenden Liberalität ist an dem Punkt gescheitert, zu dessen Verteidigung sie von ihm ins Feld geführt worden war. Eine freiwillige Auseinandersetzung mit der Verstrickung ihrer zukünftigen Mitglieder in den ehemaligen DDR-Machtapparat findet aus eigenem Antrieb der versammelten Künstlerschar nicht statt. Die Akademie Ost wie West ist in den letzten beiden Jahren den Nachweis schuldig geblieben, daß sie dazu in der Lage wäre. Weniger die Enthüllungen dieser Zeit – Christa Wolf, Heiner Müller, Manfred Wekwerth – sind Anlaß zu dieser pessimistischen Einschätzung. Wann je hätten sich Spitzel selber enttarnt!
Nein, das Unvermögen und der Unwille, auf die Enthüllungen zu reagieren, die Betroffenen zur Rede zu stellen, ihr Umfeld zu analysieren und Konsequenzen zu formulieren, das ist es, was das Nolimetangere zum Primat des Akademielebens erhob. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß der hehre Wunsch, der Übernahme der DDR nach 23 GG ein gleichberechtigtes Zusammengehen der Kunstakademien entgegenzusetzen, lediglich zu einer neudeutschen Art der friedlichen Koexistenz geführt hat. Östliches Beharren auf die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten korrespondiert aufs trefflichste mit dem von Jens praktizierten Wandel durch Annäherung an die diskreditierten Ostkünstler. Der dahinterstehende pädagogische Impetus atmet den gleichen sozialdemokratischen Versöhnungsgeist, der seinerzeit schon das SED/SPD-Papier umwaberte.
In der gedanklichen Tradition ihrer Ostpolitik bewegen sich Jens und die SPD auch in ihrer Mißachtung der Dissidenten. Im Zweifelsfall wird sich auf die Seite der stärkeren, weil etablierten Bataillone geschlagen und vorschnell als Mehrheitsmeinung hingenommen, was politisch zumindest hinterfragt gehörte. Daß Fuchs, Klier, Kunert, Ligeti & Co. ihre Rückendeckung bei der CDU finden, kann man eilfertig mit dem instrumentellen Interesse der Konservativen begründen. Damit würde man jedoch einen Erfahrungswert fehlinterpretieren, der die Bürgerbewegten dazu gebracht hat, ihr politisches Selbstverständnis als querliegend zur etablierten Parteienlandschaft zu definieren. Erfahrungen wie die im Akademiestreit gemachten nähren die Vorbehalte gegen die alte westliche Linke.
Die Chance für einen Neuanfang scheint so vertan. Die Akademie wird, wenn sie sich nicht wider Erwarten zu einem kathartischen Kraftakt aufreißt, mit dem Ruf der Vergangenheitverdrängung leben müssen, der von Stasifall zu Stasifall immer schwächer erschallen, jedoch nie ganz verstummen wird. Alle Versuche von seiten des Staates, zu induzieren, was die Akademie versäumt hat, sollten, da unzulässig, unterbleiben. Das Land Berlin kann nur entscheiden, ob es eine Akademie will oder nicht: In ihre Zusammensetzung sollte sich nicht einmischen, wer nicht in der Tradition der SED stehen will. Sollte sich allerdings an der Haltung der Akademie zur Vergangenheitsaufarbeitung nichts ändern, steht es dem Staat durchaus offen, auch eine zweite Akademie zu fördern. Dieter Rulff
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