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Netzwerk klingender Massen

■ Der Komponist und langjährige Lehrer an der Musikhochschule Hamburg György Ligeti feiert heute seinen 70. Geburtstag

feiert heute seinen 70. Geburtstag

„Mit Ehrungen weiß ich gar nichts anzufangen“, meinte György Ligeti vor fünf Jahren anläßlich der Verleihung von Ehrendoktorwürde und Ehrensenatorenschaft der Hamburger Musikhochschule. Auf Reden und Gratulationen wollte er lieber verzichten: „Laßt uns zusammen Musik hören!“ Heute feiert der Komponist seinen 70. Geburtstag. Die Freie Akademie der Künste in Hamburg leistet dem Meister Gehorsam, veranstaltet eine Konzertreihe, die noch bis zum 5. Juni Ligetis Werke alleine oder im Dialog mit Stücken von Liszt, Bartok und anderer Komponisten vorstellt.

Bela Bartok findet sich nicht zufällig auf dem Programmzettel. Trotz seines Todes in der Emigration blieb er der musikalische Übervater in Ungarn, das lange Zeit von der westlichen Moderne abgeschnitten war. In diesem Klima studierte der in Siebenbürgen geborene Ligeti ab 1945 Theorie und Komposition in Budapest. Kein Wunder, daß seine ersten Kompositionen in der Nachfolge Bartoks standen. Schließlich waren beide engagierte Erforscher ihrer nationalen Volksmusik.

1956 kam der musikalische Kulturschock: Nach tagelanger Eisenbahnfahrt, so wird erzählt, trifft der aus Ungarn geflohene Ligeti bei Klangguru Karlheinz Stockhausen in Köln ein, führt mit ihm ein mehrstündiges Gespräch über neue Musik und schläft unmittelbar danach 24 Stunden. Das Sprechen über Musik, vor allem das Erläutern eigener Werke, ist übrigens bis heute eine seiner Lieblingstätigkeiten geblieben.

Trotz aller Faszination über so wunderbare Dinge wie die mathematisch-gesetzmäßig vollkommen durchstrukturierte serielle Musik oder die elektronische Musik, die im Westen gerade modern war, ließ sich der junge Ligeti nicht von den neuen Eindrücken überfahren, sondern erhielt sich eine gesunde Distanz und Eigenständigkeit. Nicht zuletzt daraus resultiert sein erster großer Erfolg: Das 1961 entstandene Orchesterwerk Atmospères für großes Orchester unterschied sich so stark von bekannten Klangkonstruktionen, daß ihm die Aufmerksamkeit automatisch sicher war. Allein der Titel steht im größten Widerspruch zu den Structures eines Pierre Boulez. Der kompositorische Überraschungseffekt bestand aus einer „Orgie des Wohlklangs“, wie irritierte Zeitgenossen befanden. Ligeti selbst äußerte sich differenzierter zu seiner Klangflächenkomposition, sprach von „feinsten Veränderungen der Dichte“, von „Einander-Ablösen, Einander-Durchstechen und Ineinander-Fließen klingender Flächen und Massen“.

Eine Parodie auf mathematische Kompositionen oder ein sinniges Werk zur Dimension Zeit? Einhundert Metronome in streng formierten Reihen ticken in unterschiedlichen Geschwindigkeiten im Konzertsaal. Das Tick-Tack-Chaos wird langsam weniger, da nach und nach die Taktzähler verstummen. „Ich nehme das Stück heute sehr ernst“, sagt Ligeti Jahre später zu einem der außergewöhnlichsten Stücke des Jahrhunderts, genußvoll Poème Symphonique benannt. Ansonsten finden sich durchaus gängigere Besetzungen in seinem Schaffen: Streichquartette und andere Kammerstücke, Orchesterwerke, Konzerte, ein „Requiem“, Vokalstücke, schließlich 1978 die erste Oper: Die deutsche Erstaufführung der „Anti-anti-Oper“ Le grand macabre findet 1978 in Hamburg statt.

Entscheidend in Ligetis Werk bleibt der Klang, erzeugt durch eng verwobene rhythmische oder melodische Fäden. Wie bei einem Teppich oder Pullover sind sie später nicht mehr separat wahrzunehmen. Ligeti selbst spricht von Netzwerken, Geweben oder Gitternetzen, „geometrischer Musik“, ohne daß „thematisch-motivische Arbeit“ enthalten sein müsse. Das heißt bei ihm aber noch lange nicht, daß seine Stücke langweilig oder gar gleich klingen: Wuchtige Akkorde finden sich und filigrane Klanggebilde, zeitlos verschwimmende Harmonien oder komplex verarbeitete Rhythmen. Ligeti gilt dabei als besonders genauer, langsamer, inzwischen auch teurer Komponist, der schon mal Uraufführungstermine platzen läßt, gleichfalls aber als faszinierender Pädagoge.

Nach Jahren in Wien - Ligeti ist österreichischer Staatsbürger -, Stockholm und Berlin nahm er 1973 eine Professur in Hamburg

1an. Die Studenten strömten seinetwegen gen Norden. Der inzwischen pensionierte Prof bezeichnete sich den Studenten gegenüber als „älterer Kollege“: „Wir arbeiten und diskutieren zusammen.“

An der Musikhochschule hatte er sich vergeblich bemüht, ein Zentrum für Computermusik und mikrotonales Komponieren zu gründen. Dabei hatte er 1975 sogar seinen Bach-Preis für diese Idee ge-

1stiftet. Engagement für Musik und Schüler kennzeichnen György Ligeti. Niels Grevsen

Heute abend: Evgeni Koroliov spielt Bartok, Ligeti, Liszt (Studio 10), 1. Juni: Volker Banfield mit Ligeti-Etüden (Forum der Hochschule), 2. Juni: Zsigmond Szathmary, sämtliche Orgelwerke Ligetis (St. Michaeliskirche), 3. Juni: Mandelring-Quartett, Klavierduo Uriarte/Mrongrovius, 5. Juni, NDR-Sinfonieorchester (beides Studio 10)

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