piwik no script img

Wo verläuft die Front?

Werben mit der Reduktion: Das PR-Konzept der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz  ■ Von Sybille Weber

Wie bewegt man etwas? Man macht ihm Beine. Wie steuert man ein architektonisches Schlachtschiff? Man zeigt Flagge. Wie unterscheidet man sich von etablierten Theatern? Durch zündende Ideen. Und wie bringt man diese Idee unter die Leute? Natürlich mit Werbung.

Frank Castorf – Enfant terrible schon des ehemaligen DDR-Theaters und ewig Oppositioneller – hat sich am Beginn dieser Spielzeit auf das schwierige Terrain einer Intendanz an der Volksbühne am Rosa- Luxemburg-Platz gewagt und (so scheint es) gewonnen. Das unter Benno Besson etwas ins Abseits geratene Haus hat sich jedenfalls einen besonderen Platz in der Berliner Kulturszene erobert. Der Erfolg des neuen Theaterkonzepts bemißt sich nicht nur an der Auszeichnung des Hausherren mit dem frisch von der Morgenpost gestifteten Friedrich-Luft-Preis oder an der Nominierung von zwei Inszenierungen des Hauses für das diesjährige Theatertreffen, sondern vor allem an den hohen Besucherzahlen. Dieser Erfolg war vorprogrammiert: Das ausgefeilte Werbekonzept der Volksbühne unter Federführung von Chefbühnenbildner Bert Neumann und der Gruppe LSD lieferte seit Beginn der Spielzeit untrügliche Indizien dafür, daß am Rosa-Luxemburg- Platz unerhörte Dinge vor sich gehen sollten.

Der Name LSD klingt provokant, doch verbirgt sich dahinter nicht etwa eine Aufforderung von Rauschmitteln fürs Volk, vielmehr spielt die Bezeichnung mit dem wohlvertrauten Hang zu Abkürzungen, die den Sprachgebrauch der ehemaligen DDR gelegentlich bis zur Unverständlichkeit durchzogen. Hier wie dort muß man nachfragen und erfährt: LSD steht für Last Second Design. Damit wird formuliert, worauf die drei Mitglieder des Teams bei ihrer Arbeit besonderes Gewicht legen: Kreativität bis zum letzten Moment.

„Was die anderen Theater machen, machen wir nicht“, formuliert LSD seinen Ansatz. Gegen die „Glanzlandschaft“ der Werbewelt anderer Berliner Theater wird polemisiert, denn hier wird Werbung nicht als informative, gestalterische Dienstleistung begriffen. Vielmehr versteht LSD sie „als Erweiterung dessen, was Theater ausmacht: künstlerische Arbeit“. So ist es der Volksbühne gelungen, durch ihre auffallend schlichte Werbung im Durchbrechen etablierter Werbestrategien Aufsehen zu erregen. Statt auf das Prinzip Hoffnung setzt Last Second Design auf das „Prinzip Verweigerung“, so das Rezeptionsmuster, mit denen der Betrachter sonst die Vielzahl heutiger Werbebilder für sich kategorisiert, die nicht mehr greifen. Die sparsame Einfachheit macht auf die Szenen im Theater doppelt neugierig. Der minimalistische Einsatz von Farbe, Wort und Zeichen springt ins Auge und fordert heraus: Reduktion bis zur Provokation.

Programmatisches Zeichen dieser Haltung ist das grob konturierte Wagenrad mit Beinen, einer mittelalterlichen Gaunerzinke aus dem Rotwelsch des ehemals fahrenden (Räuber-)Volkes entlehnt. Frank Castorf hat sie bereits 1990 für seine Inszenierung von Schilllers „Räuber“ verwendet, um den Blick auf Subkulturen und alternative Kunstformen zu lenken. Diese Absicht wurde nun zum gestalterischen Konzept für das ganze Haus erweitert. In der Stadt hat sich das Logo des Rads mit Beinen in kürzester Zeit als Synonym für „rebellisches“ Theater durchgesetzt.

Aber Rebellion ist teuer. Auf allen Ebenen hat die Volksbühne eine Masse von Werbeträgern im Low-Tech-Image gestreut: Plakate, Leporellos, Postkarten, Programmhefte, Aufkleber, Fahnen – und vor allem mit Wort und Zeichen versehene Streichholzschachteln, denn „alles, was man gebrauchen kann, nimmt man mit“. Der künstlerische Ansatz, der „Mittel vor Zweck“ stellt, bleibt gewahrt. Die eingesetzten Medien sollen eine „Doppelfunktion“ von Werbe- wie Gebrauchsgegenstand erfüllen. Doch was gestalterisch als Billigprodukt erscheint, hat einen stolzen Preis: Immerhin 300.000 DM hat die Volksbühne für die Finanzierung ihrer Anschubwerbung springen lassen. Mit Ausnahme des schwarzweißen Kinospots, der im Zusammenwirken aller Abteilungen des Hauses entstand, verzichtete das Konzept von LSD anfangs durchgängig bei allen Werbeträgern auf die Verwendung von Fotos. Mit der Betonung von Zeichen und Schrift wurde bewußt an die Gebrauchsgraphik für Objekte der Alltagskultur in der ehemaligen DDR angeknüpft. Zweifarbig, graphisch reduziert formuliert die Volksbühne ihr Bild von Deutschland mit ironischem Patriotismus.

An der Volksbühne bevorzugt man schlichtes Altrohstoffpapier aus früheren DDR-Beständen und läßt statt mit modernem Fotosatz mit altem Bleisatz drucken – dem in der DDR hauptsächlich eingesetzten Verfahren. Die Suche nach einem Betrieb, der noch immer mit der alten Drucktechnik arbeitet, war mühsam, aber unerläßlich. Denn nur der Bleisatz erlaubt ein Spiel mit dem Zufall, insofern als der Farbauftrag mal mehr, mal weniger satt auf dem Papier steht und damit ein Druckbild erzeugt, das nicht „angenehm designed“ ist. Es widersetzt sich der Perfektion computergesetzter Typographie.

Der ästhetische Bezug zur Werbegraphik in der früheren DDR verweist gerade als Reminiszenz auf eine im Osten verdrängte visuelle Qualität von Werbung, die nicht nur sozialistisches Einheitsdesign produzierte. Materialien wie Verarbeitung zu wählen, die im Osten vertraut sind, erzeugt atmosphärisch ein Gefühl von Kontinuität zu vergangenen Zeiten – als wär' man noch unter sich.

Hohe Materialkosten für die massenhafte Verbreitung „aufrührerisch-sparsamer“ Zeichen – mit diesem Paradoxon schlägt man den Kapitalismus mit seinen eigenen Waffen. Darum auch lädt die Theatermannschaft der Volksbühne zu unglaublichen Dumpingpreisen in ihre „Räuberhöhle“. Der Gedanke zahlt sich aus, die Resonanz bei den jungen Zuschauern als Zielgruppe der Imagekampagne ist groß. Und so bewegt sich heute mehr Publikum, ein buntes Völkchen, in den Marmorverkleidungen des Theaters. Diese stammen übrigens – Ironie der Geschichte – aus Hitlers Reichskanzlei.

Volksnahe Preise, aber auch eine volksnahe Sprache? Nur scheinbar verspricht die in der Theaterwerbung der Volksbühne benutzte Sprache eine klare Orientierung: „Front“ – wogegen?, „Satt“ – wovon?, „Haut ab“ – wohin?, „Raushalten“ – wo denn?, „Feuer“ – auf wen? Selbst die Aufforderung „Zünd an“ auf einer Streichholzschachtel wirkt brisant.

Das Werbekonzept von LSD knüpft mit solchen Slogans formal an Traditionen des Agitproptheaters wie expressionistischer Plakat- und Schriftgestaltung an, rekurriert auf agitatorische Werbung, deren Zielrichtung in einer bestimmten geschichtlichen Situation klar definiert war. Im Unterschied dazu vermitteln die Werbeträger der Volksbühne aber gerade keine eindeutigen Statements: Aus Rotfront wird „Front“. Was bleibt, sind formale Zitate und sinnentleerte Schlagwörter, die gegen den inflationären Gebrauch von Floskeln – nicht nur in der paraphrasierten Werbesprache – polemisieren.

„Gebt mir ein Leitbild!“ lautet da passend der Appell einer Plakataktion der Volksbühne. Aber wer spricht da eigentlich? Das Publikum? Oder die Theaterschaffenden selbst? Der Ruf nach dem Leitbild kann in diesem Zusammenhang – je nach Perspektive – als Wunsch nach normativer Anleitung wie auch als Wille zur Opposition gegen eine fremde Position verstanden werden.

Das Spiel mit der Erwartungshaltung – das Theater produziert, der Zuschauer konsumiert – ist jedoch mehr als ein geschickter Werbegag. Hier werden zugleich tiefgreifende Irritationen der Bevölkerung in den neuen Bundesländern nach dem politischen Umbruch wie auch Unsicherheit bei der sozialen Orientierung in den alten Ländern ausgedrückt. Gerade indem der Appell am exponierten Ort einer Plakatwand auf das Fehlen positiver Vorbilder verweist, wird sichtbar, was an deren Stelle getreten ist: Werbeklischees vom lassoschwingenden Marlboro-Cowboy bis zur frisch gebadeten Nivea-Familie.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen