: „Galoppreiten ist wie eine Droge“
■ Der ehemalige Abgeordnete der Alternativen Liste, Sergej Goryanoff, reitet Galopprennen in Hoppegarten / Geld, Geduld und Glück sind die Essentials seines Sports
„Hier möchtest du mal reiten“, habe er sich schon vor etlichen Jahren gewünscht; damals vor dem Mauerfall, als er noch als Abgeordneter für die Alternative Liste im Rathaus Schöneberg saß. Jetzt reitet Sergej Goryanoff hier. Die Sturzkappe und die Jacke sind schlammbespritzt, und auch die Schutzbrille ist durch Spritzer fast blind geworden. Der nächtliche Regen hat das Geläuf naß und schwer gemacht für das morgendliche Training. „Der hat Biß“, bescheinigt er dem Trainer die Form seines Pferdes „Schah“, bevor er sich den Dreck aus den Mundwinkeln wischt. „Schah“ wird am Sonntag in Leipzig starten – dann jedoch unter Lutz Pyritz, dem besten Galopper-Jockey der DDR.
Kurz zuvor haben die fünf Pferde der Trainingsgruppe den Boden dröhnen lassen, als sie am Trainer vorbeistoben; mit kurzen Steigbügeln, die den Reiter fast über dem Pferderücken schweben lassen, um so das Pferd optimal zu entlasten. „Wenn die volle Pulle galoppieren, dann spürst du die Schrittfolge nicht mehr, dann ist das ein Gleiten“, hat der knapp ein Meter siebzig große Mann mit dem markanten Gesicht vorher erzählt.
Im Hauptberuf ist der fünfundvierzigjährige Sergej Goryanoff Stadtplaner und betreibt ein eigenes Büro. Die Stadtsanierung und Stadtplanung, insbesondere in seinem Wohnbezirk Kreuzberg hat ihn einst auch in die Alternative Liste gebracht. 1988 rückte er ins Abgeordnetenhaus nach. Doch das Reiten liegt in der Familie. Großvater und Vater waren Kosaken. In der russischen Revolution kämpfte der Vater als Kosak bei den Weißgardisten. Im Exil gründete er später eine Kosakenreiter-Truppe.
Auch Sergej ritt seit seinem zwölften Lebensjahr. Die Lizenz für Galopper erwarb er erst vor wenigen Jahren. „Reiten ist eine Droge“, warnt der kaum sechzig Kilo wiegende Planer, der viermal die Woche im Morgengrauen trainiert – vor der eigentlichen Arbeit.
Und billig ist die Reiterei auch nicht. „Im Rennsport wird kein Geld verdient“, sagt Trainer Stech. Nur ein Drittel aller Pferde erreiten so viel Sieggelder, daß damit die hohen Kosten für die Unterbringung und Verpflegung der Vollblüter zu bezahlen sind. Zumal auch noch Nenngelder und Startgelder fällig werden können.
Für den Galoppsport braucht es die drei G‘s, sagt der Trainer: Geld, Geduld und Glück. Glück muß man schon haben beim Kauf der Pferde. Eine Stute, die tolle Vorfahren hatte, habe „gar nichts gebracht“, mußte Sergej erfahren. Doch „Schah“, von dem man ihm abriet, hat 1991 in Baden-Baden, in Leipzig, Dresden und Magdeburg gewonnen. Doch das Glück wendet sich schnell: 1992 kränkelte „Schah“ und kostete nur Geld.
Nach der Trainingseinheit werden die Pferde abgesattelt, trocken gerieben und die Hufe gereinigt. Dann geht es mit „Royal Girl“, dem Pferd eines anderen Besitzers, erneut auf die Sandbahn. Die Trainingsgruppe müsse leistungsmäßig immer zusammenpassen, erläutert Trainer Stech, wie notwendig Einfühlungsvermögen sei: Werde ein Pferd überfordert, verliere es die Lust an der Arbeit und verweigere den Einsatz. Das gilt wohl auch für den Reiter – bloß umgekehrt: ohne die morgendlichen Ritte sitze er den ganzen Tag voller Unruhe hinter seinem Schreibtisch, sagt Sergej. Habe er aber trainiert, dann könne ihm der Tag nichts mehr anhaben. Gerd Nowakowski
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