: Rundum einnehmende Ernsthaftigkeit
Ex-DDR-Rock am Ende der Verpuppung: Vier ehemalige „andere“ Bands – als Klops betrachtet ■ Von Anke Westphal
Früher, in der sozialistischen Republik, war alles schön einfach. Der strebsam renitente Hörer warf eine zornige Langspielplatte auf sein „RFT“-Gerät und konditionierte sich durch mehrmaliges Anhören von „Straßenkampf“ (von den Skeptikern) oder „Das Lied von der unruhevollen Jugend“ (Feeling B) auf die bevorstehende Auseinandersetzung mit den Bollwerkern der Staatsmacht. Wenige Jahre gingen ins nagelneue und doch schon negativ verwischte „Vaterland“, Jahre, in denen selbst seine Anti-Barden und Anti-Bewohner älter wurden– wenn auch nicht automatisch weiser.
Den Klügeren steht diese Dialektik der Diskontinuität von Quantität und Qualität klar im Geiste. Einigen gelingt es sogar, den „dreckigen Haß der Gegenwahrheit“ (so „Kult“-Autor Key Pankonin in einem Roman über das Leben damals; mehr demnächst), das Gefühl einer anders gleichen Ohnmacht und die verwirrende Erfahrung mit dem „neuen Leben“ im Lied zu läutern– Verkaufszahlen tendenziell steigend, Clubs gut gefüllt.
Woher rührt diese Retro an Zuneigung, nachdem der Exotenbonus der ehemals sogenannten „anderen“ Bands sich längst verbraucht hat?
A) Klappe für „Schwarze Boten“, das dritte Album der Skeptiker. Es hat ebensoviel oder ebensowenig mit no future zu tun wie die Musik mit Punk. Mitmenschen, die interpretatorisch nach Höherem streben, können in den Metal- und Funk-Elementen, die die neuen Stücke vorteilhaft differenzieren, im spanischen Gitarren-Intro vor dem Titelsong oder im schlicht lyrischen Klagelied „RMR“ gar die kreative Spiegelung unbegrenzter Pluralität vermuten.
Ist es das? Die inhaltlich clever auswählende, stellvertretende musikalische Integration in die neue weite Welt, den projizierten Erfolg gleich mit eingeschlossen? Die Skeptiker wollen sich „dem Alltag nicht kampflos ergeben“, „rücken zusammen, kampfbereit“, leisten „Widerstand“ (so neu sind die Worte nicht), distanzieren sich aber vom globalen „Straßenkampf“-Gebrüll ihrer zweiten LP „Sauerei“. Das „What can I do“ (man covert vom eigenen Debüt „Harte Zeiten“ – selbstbewußte Demonstration von Entwicklung) ist jetzt mehr philosophisch besorgt als operativ handgreiflich, auch wenn Eugen Balanskats Gesang sich wie gewohnt zu einem seltsam negativ jubelnden, dabei erstklassigen Pathos aufschwingt.
So wie Balanskat sie singt, kann man über Menschheitsfragen mit Übergröße („Sind wir total am Ende des Wegs?“, „Wo kam ich her, wo geh' ich hin, was ist der wahre Lebenssinn?“) nicht so recht von Herzen schmunzeln. Der Gestus hat zu sehr etwas von einem irren Seher, dessen in aufklärerischer Absicht vorweggenommene Apokalypse durch keinerlei musikalische Ironie gebrochen wird. Titel wie „Schwarze Boten“ (eine Metapher für Rechte) oder „Schwere Zeiten“ sind generalüberholter Agitprop im besten Sinne; ohne pädagogisch erhobenen Finger nämlich, dabei latent romantisch, die „Botschaft“ also individuell abrufbar.
Dennoch bleiben die Skeptiker skeptisch – um der Welt einen Kalauer zu schenken. Zivilisationskritik wird mit einfachen Worten („geiler Technikwahn“, „Megamaschine“), im einfachen Reimdich („Und das Geld, das Herz der Städte, bringt uns immer mehr in Nöte“) auf den Punkt gebracht. Das kann im Umfeld deutsch textender Tiefsinnelei so angenehm wie wirkungsvoll sein, wenn es instrumental mit erbarmungsloser Geschwindigkeit transportiert wird – wie in diesem Fall. Punk ist eben doch noch irgendwie vorhanden, schließt aber die unverhohlen schmerzbittere Hinwendung zum Subjekt als Opfer der Norm nicht mehr aus: Keine Geringeren als Camille Claudel und Rainer Maria Rilke sind die Vexierbilder eigener Ängste und Verletzlichkeit.
Wendet sich nun der reifende Mensch, ob Musiker oder nicht, zwangsläufig den „richtigen“ Künstlern zu? Eher setzt wohl hier das global Politische bescheidener im lokal Individuellen an: Man hat doch nur beschlossen, anständig und der Haßkappe fern zu bleiben. Taufen wir's ethischen Metal-Punk, weil so schöne Worte wie „verzeihen“, „irdisch“ oder „Gier“ vorkommen.
Auch das Cover ist von bestechend schöner Symbolik: Ein kleiner Mann zielt mit einer Giftspritze in ein riesiges Ohr, in dem der Müll der Geschichte umzukippen droht. Rechts außen Christus, oben Mitte Justitia, oben rechts Alf, links außen Laokoon und ganz unten links ein kleines Lenin-Bild zwischen jeder Menge Autos. Rundum einnehmende Ernsthaftigkeit also auf dem „Weg ins Leben“ (Makarenko!)
B) Nun singt es wieder, das „gemeine“ Feeling B (abermals Pankonin), möchte man seufzen. Kann sich jedoch der Erinnerung an zwei pogoverhopste Jahre nicht träge überlassen. Weil das gemeine Feeling B so ganz anders grölt als damals, nämlich künstlerisch und partiell auf Latein. Dies muß eine Verschwörung des „musikalisch- industriellen Komplexes“ (Radiomoderator Jürgen Kuttner) sein. Offenbar hat man beschlossen, das Mittelalter-Revival noch vor dem Punk-Revival, das nach dem Hippie-Revival kam, zu plazieren; innert vier Wochen landeten jedenfalls vier das Mittelalter adaptierende Digital-Kekse auf dem Schreibtisch.
Also das gemeine Feeling B, welches fünf Skelette auf dem Cover seiner jüngsten LP „Maske des roten Todes“ abbildet – und „Vorsicht! Mystisches Mysterium“ darüberstempelt. Damit noch jeder Trottel begreift, worum es sich hier dreht. Was genau nun mystisch sein soll, verbarg sich unserem kleinen Geist. Nicht verborgen blieb hingegen, daß Feeling B immer noch die lärmenden Brüder Lustig markieren, wie früher zu jungenhaften Scherzen neigen (Telefonansage: „Bundesministerium für Verteidigung!“) und trotz Kulturerbes ihrer Maxime nicht untreu wurden. Dieselbe heißt „Lauter! Schneller! Einfacher!“ – um eine leider vergessene sozialistische Lösung zu paraphrasieren – und favorisiert eher ein gewisses bierseliges Lebensgefühl als musikalische Raffinesse.
Das gemeine Feeling B delektiert sich nunmehro in mittelalterlichen Kneipen, seuchenbrütenden Badestuben oder bei der Hexenverbrennung, was nicht unflott klingt („Tod des Florio“, „Heiduckentanz“). Mit dem gemeinen Feeling B soll jener Dudelsackspieler wohnen, der das rumpelnde Werk mittelaltermäßig stilecht verziert hat. Dazu Hundegekläff, kurzes Jubeln im Falsett, ein markig diabolisches Lachen, bedeutungsschwangere Ausrufe: „Yumma Yumma Yumma da“ oder „Hehahehahehahe“ – die Welt von Feeling B ist schlicht, aber von einigem Unterhaltungswert; vor allem, wenn man gutgelaunt sowie leicht betrunken ist und Aljoscha Rompes bang zittrige, vom freundschaftlich gesinnten Männerchor gestützte Stimme mag. Ganz seltsam klingt derselbe, wenn er sich einer gebildeten Sprache bedient, wie bei „Veris Ducis“– tatsächlich ein lateinisches Liebeslied von schwerblütig walzender Süße, die ernst zu nehmen töricht wäre. Fazit: Das gemeine Feeling B ist ohne Zweifel Geschmackssache, aber noch in seiner spezifisch robusten Manieriertheit charaktervoll, gereift (etwa wie Harzer Käse) und unverwechselbar.
C) Was beim neuesten Album von Die Art, „Gift“ betitelt, nicht so ganz feststeht. Zuviel sanft melancholischer, mit Streichern aufgefüllter Dark-Pop. Immerhin entlassen auch Die Art ihr Publikum nicht mehr in die einfache Welt der systemkritischen Schlagworte „anderer Bands“. Das Verpuppungsstadium ist definitiv beendet, geschlüpft ist ein Ja zu den Jahresringen.
D) Die Legende vom schrägen grauen Osten kann man mit „Kinder der Maschinenrepublik“ noch einmal erinnern. Die „Combo-Nisten und DDRums“ von Die Firma (eine der interessantesten Bands damals – und eine von denen, die keinen Trittstein zum Weitermachen fanden) hatten gerade genug Geld, um ihre alten Lieder 1983–91 zu veröffentlichen. Es handelt sich um „Versuche, Sand ins Getriebe der Maschine zu werfen“.
Zur Zeit weiß natürlich niemand, ob Sand überhaupt noch etwas anrichtet. Aber die Modifizierung seiner Möglichkeiten scheint beliebt.
Die Skeptiker: „Schwarze Boten“ (Our Choice/Rough Trade)
Feeling B: „Die Maske des roten Todes“ (Pirat Musik/SPV)
Die Art: „Gift“ (DSB/SPV)
Die Firma: „Kinder der Maschinenrepublik“ (Dead Horse/ nur über Village Voice, Berlin)
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