: Ein Ölfeld unter Detroit
■ Energieeffizienspapst Amory Lovins sieht Einsparpotentiale nicht ausgeschöpft / Schon 1976 Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch vorausgesagt
Lovins, zusammen mit seiner Frau Träger des Alternativen Nobelpreises, arbeitet heute im Rocky Mountain Institut in Colorado an Energiesparszenarien auch für die neue US-Regierung. Sein 360-Quadratmeter-Institut, in 2.200 Meter Höhe in den Rocky Mountains gelegen, kommt – selbst bei minus 30 Grad – ohne Heizung aus.
taz: Wenn mehr Energieeffizienz so lohnend ist, wie Sie es in ihren Studien behaupten, wieso stürzt sich nicht alle Welt auf dieses gewinnbringende Geschäft?
Amory Lovins: Tut sie doch. In den vergangenen zwölf Jahren haben wir in den USA viereinhalb mal mehr Energie gespart, als wir an neuen Kapazitäten gebaut haben. Diese Einsparungen sind bis heute eine Energiequelle, die 40 Prozent größer ist als die gesamte amerikanische Ölindustrie. Zudem investieren unsere Stromkonzerne in diesem Jahr allein fünf Milliarden Mark ins Stromsparen, die Stromkunden noch mal soviel. Diese Summe verdoppelt sich im Augenblick alle zwei Jahre.
Aber wie überwinden Sie die politischen Widerstände gegen das Energiesparen? Die Machtkartelle um die Stromkonzerne beziehungsweise um die Ölindustrie verdienen doch nur, wenn sie immer mehr Energie verkaufen.
Es geht gar nicht ums Überwinden; man muß diese Machtstruktur kooptieren. Ein US-Bundesstaat nach dem anderen verändert die ökonomischen Spielregeln, so daß die Stromkonzerne künftig auch daran verdienen, die Stromrechnung ihrer Kunden zu verkleinern, statt immer mehr Strom zu produzieren.
Amerikaner brauchen immer noch unglaublich viel Energie – mehr als doppelt soviel wie ein Durchschnittseuropäer. Ihre Erfolge sind also nicht gerade durchschlagend.
Mal langsam. Wir arbeiten gerade mit General Motors an einer neuen Generation von Super-Autos, die wesentlich leichter und sicherer sind und die nur noch zwischen 0,6 und 1,6 Liter Sprit für 100 Kilometer verbrauchen. Meine Phantasie ist, daß die Ölkonzerne sich an der Umstellung der US- Autoflotte finanziell beteiligen, natürlich auch an dem Gewinn, den das hoffentlich einmal abwirft. Es gibt schon Interessenten.
Woher kommt das Interesse?
Wenn die Autos kein Erfolg werden, gehen die Geschäfte weiter wie bisher. Wenn die Autos aber ein Erfolg würden, wäre die Profitabilität der Unternehmen durch die Gewinnbeteiligung gesichert. Die Ölkonzerne haben sogar noch ein zusätzliches Motiv. Unter Detroit „fänden“ die Ölmultis dann nämlich gewissermaßen zusätzlich ein Ölfeld, das wesentlich größer wäre als das größte in Saudi-Arabien, nur durch diese neue Generation benzinsparender Autos. Die Quelle versiegt nicht, und sie bringt keine politischen Probleme wie am Golf.
Es geht Ihnen bei der Arbeit des Rocky Mountain Institute nicht nur ums Energiesparen, sie haben auch andere Ressourcen im Auge.
Wir stellen zum Beispiel einen sogenannten Wasserspar-Katalog zusammen, in dem Privatfirmen die jeweils fortschrittlichsten und wassersparendsten Technologien finden können. Wenn sie Wasser sparen, sparen sie außerdem noch die Energie, es vorzubehandeln, zu pumpen und zu erhitzen und anschließend wieder in Kläranlagen zu behandeln. Die Kosten der Wassereinsparung sind inzwischen sogar niedriger als die Kosten, die sonst für die Wasserbehandlung anfallen würden. Das heißt: Wassersparen kostet nichts, es bringt sogar noch Geld.
Hat das konkrete Folgen?
Ja. Im Städtchen Morrobay in Kalifornien war das Wasser ständig knapp, bis die Stadtverwaltung jeden neuen Hausherrn verpflichtete, vor Errichtung eines Gebäudes anderswo in der Stadt zweimal soviel Wasser einzusparen, wie sein Neubau voraussichtlich verbrauchen würde. Die Folge: Investoren klingelten sich von Haustür zu Haustür, um wassersparende Anlagen zu installieren. Sie müssen sich das ungefähr so vorstellen: Ein Mann steht vor ihrer Tür und sagt: „Sehen Sie, ich habe hier dieses wunderschöne Designer-Klo, preisgekrönt und im New Yorker Museum of Modern Art ausgestellt. Es braucht nur noch ein Siebtel soviel Wasser wie ihr altes, und ich möchte es Ihnen schenken.“ Wenn Sie clever sind, sagen Sie dem Mann: „Was zahlen sie mir dafür, daß sie es installieren dürfen?“ Ein Drittel der Gebäude von Morrobay wurde so innerhalb von zwei Jahren mit wassersparenden Installationen nachgerüstet.
Sie argumentieren mit den Möglichkeiten für mehr Effizienz, die die Marktwirtschaft bietet. In Deutschland meinen viele Ökologen inzwischen, trotz aller Effizienzanstrengungen werde man die notwendigen Ressourceneinsparungen nur durch Einschnitte beim Lebensstandard erreichen können. Sie sind da anderer Meinung?
Wenn Sie in Deutschland nicht effizienter werden, wird der Lebensstandard in der Tat sinken. Ausruhen gilt nicht. Neue Gebäude in den USA sind heute schon energiesparender als neue Gebäude in Japan oder der Bundesrepublik. Dasselbe gilt für neue Autos, und beim Energieverbrauch der Industrie holen die USA ebenfalls auf.
Was sind die Konsequenzen?
Ich sehe eine gewisse Behäbigkeit in Deutschland und Japan, die erhebliche Auswirkungen haben wird. Es wird künftig nämlich wesentlich mehr „Tiger“ im Dschungel der Weltwirtschaft geben, die auf die internationalen Exportmärkte drücken, und es wird weniger Importeure geben. Es wird schwerer werden, auf den Exportmärkten die Devisen zu verdienen, um den eigenen Ölimport zu finanzieren. Und je weniger Ressourcen sie dann verschwenden, desto weniger müssen sie exportieren, um die Devisen dafür zu verdienen. Die Deutschen müssen ganz einfach ihre technologischen Fähigkeiten einsetzen. Jetzt ist die Zeit zum Handeln, vor allem beim Aufbau Ost.
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