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Empörung über Bonner Biedermänner

■ Migrantenverbände sprechen von Mitschuld der Politiker / Die zeigen sich betroffen und entsetzt

Nach dem tödlichen Brandanschlag in Solingen haben Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP), der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor (SPD) und der türkische Botschafter Onur Öymen gemeinsam an die Türken in der Bundesrepublik appelliert, nicht Gewalt mit Gewalt zu vergelten. Deutschland werde alles tun, um die „Fürsorge für die türkischen Landsleute“ sicherzustellen, erklärte Kinkel gestern in Bonn.

Botschafter Öymen unterstrich, die über 1,6 Millionen Türken in Deutschland müßten wissen, daß die große Mehrheit der Deutschen ihren türkischen Nachbarn freundschaftlich gegenüberstehe. Der Botschafter setzte sich für die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft ein, mit der die türkische Bevölkerung besser integriert werden könnte. Über die baldige Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft für in Deutschland lebende Türken sollen Verhandlungen am Donnerstag zwischen türkischen Ministern und deutschen Regierungsvertretern am Donnerstag anläßlich der Trauerfeier für die fünf getöteten Türkinnen verhandelt werden. Die Trauerfeier wird, einem Wunsch der Familie folgend, in Solingen stattfinden. Ebenfalls am Donnerstag ist in einer Kölner Moschee eine Gedenkveranstaltung geplant.

Mit „Empörung und tiefer Trauer auf die feigen Morde“ hat der Zentralrat der Juden in Deutschland reagiert. Sein Vorsitzender Ignatz Bubis erklärte gestern, mit diesen nur 24 Stunden nach der Änderung des Grundgesetzes verübten Gewalttaten sei „eindeutig bewiesen“, daß Fremdenfeindlichkeit und Fremdenhaß unabhängig von der Asylfrage seien. Auf „tragische Weise“ sehe er sich in seiner Auffassung bestätigt, daß die Änderung des Asylrechts gar nichts bewirkt habe. Die Arbeitsgemeinschaft „Pro Asyl“ und das Kinderhilfswerk „terre des hommes“ haben eine „radikale Umkehr“ in der Ausländer- und Asylpolitik gefordert. „Kein Buhlen um rechts! Das führt in die Katastrophe“, erklärten ihre Sprecher, Herbert Leuninger und Heiko Kauffmann. „Die Flammen von Solingen beleuchten gespenstisch eine gescheiterte Ausländer- und Asylpolitik.“

Äußerst besorgt hat sich auch der Europäische Verband Türkischer Akademiker über das künftige Leben der Türken in Deutschland gezeigt. Scharfe Kritik richtet der Verband gegen die verantwortlichen PolitikerInnen in Bonn, „die diese Entwicklungen zum Teil selber mitverursacht“ hätten. Sprecher der verschiedenen Immigrantenvereinigungen, wie etwa der „Bund der EinwanderInnen aus der Türkei“ in Berlin-Brandenburg, forderten eine konsequente Verfolgung der Straftaten. Als „heuchlerisch“ bezeichneten die Organisationen die Reaktionen der Bonner Politiker. So konstatierte die „Föderation der Immigrantenvereine aus der Türkei“ (GDF): „Wieder werden die Politiker, die den ,Asylkompromiß‘ verabschiedet haben, um den ,inneren Frieden nicht zu gefährden‘, vor laufenden Kameras ihr Mitleid und Bedauern kundtun. Es reicht!“ Der „Verband bi-nationaler Familien und Partnerschaften“ (IAF) warf den PolitikerInnen vor, „durch rassistische Wortwahl und die Verabschiedung des sogenannten ,Asylkompromiß‘ mit dazu beigetragen zu haben, daß das Unrechtsbewußtsein gegenüber Anschlägen auf MigrantInnen und Flüchtlinge gesunken ist“. Auch die internationale Bewegung „Jugend gegen Rassismus in Europa“ (JRE) erklärte, es sei kein Zufall, „daß ausgerechnet in der Woche, in der das individuelle Recht auf Asyl abgeschafft worden ist, ein solcher Mordanschlag passiert“. Für den Trägerkreis „Aktion Asylrecht“ hat sich nach dem Solinger Anschlag „der abgegriffene Satz von Biedermännern und Brandstiftern auf furchtbare Weise real bestätigt“.

Unmittelbar nach dem Anschlag hatten am Samstag Politiker aller Parteien mit Entsetzen und Abscheu auf die Morde reagiert. „Entsetzen und Scham“ äußerte Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Kanzler Kohl sah in Beileidstelegrammen an den türkischen Staatspräsidenten Demirel und den amtierenden Ministerpräsidenten Inönü „die weit überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes... fassungslos angesichts der verabscheuungswürdigen Tat“.

Für die Liberalen forderte deren innenpolitischer Sprecher Burkhard Hirsch, daß nun Gesetze mit großzügigen Angeboten zur Einbürgerung – auch unter Hinnahme der Doppelstaatsangehörigkeit – „nicht verzögert werden“. Er habe für die nächste Sitzung des Innenausschusses beantragt, daß die Bundesregierung über Ausländerfeindlichkeit berichtet und konkrete Pläne zur Bekämpfung vorträgt.

Der Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/ Die Grünen, Konrad Weiß, forderte unterdessen den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf, sich mit der Situation in Deutschland zu befassen. (AFP/dpa/taz)

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