Selbstbezogene Nostalgie

■ Kann ein Velvet-Underground-Revival mehr sein als eine alternative Oldie-Night? / Am 11. Juni folgt die Antwort

-Revival mehr sein als eine alternative Oldie-Night? / Am 11. Juni folgt die Antwort

Man stelle sich vor, es ist das Jahr 2005, die Sex Pistols, inzwischen vier graumelierte Herren, mit Brillen und in gutbürgerlicher Country-Kleidung ihre schlaffe Haut versteckend, stellen sich wieder auf die Bühne und spielen „Anarchy for the U.K.“. Unvorstellbar? Auch die intellektuellen Junkies, die 1965 die eruptive Gewalt von Velvet Underground als Entfesselung ihrer selbst empfanden, hätten sich in ihren wildesten synthetischen Räuschen sicher nicht vorgestellt, daß die vier anämisch wirkenden Musiker, die in einem versifften New Yorker Club gerade die Rockmusik revolutionierten, in ihren Fünfziger Jahren der selbstbezogenen Nostalgie erliegen würden. Denn was kann ein Auftritt des Quartetts heute noch bieten, außer rührselige Stimmung und alternative Oldies?

Schließlich handelt es sich hier nicht um die Rekonstruktion eines bedeutenden Momentes der Kunstgeschichte, in dem die Verbindung von Kunst, Film, Performance, Rock, Folk, E-Musik, Poesie, Politik und Drogen eine akustische Fusion einging, sondern um eine kommerzielle Legenden-Auffrischung. Oder sind die Konzerte etwa Sozialhilfen für Sterling Morrison und Maureen Tucker, die seither kein Bein mehr in die Tür zum Erfolg gefunden haben?

Schließlich haben die intellektuellen Zwei der Band, der John Cage-Schüler John Cale und der Big-Apple-Stadtschreiber Lou Reed, nach ihrem Ausstieg aus der Band den musikalischen Urstoff stetig erneuert und so den Impuls der Band bewahrt. Cales Weg ins Epische und Reeds Vertiefung des Konkreten sind die erwachsenen Erfahrungen aus einem einmaligen Akt der Zertrümmerung, den man dreißig Jahre später nicht einfach wieder auf die Bühne bringen kann. Denn zu diesem Akt hat weit mehr gehört als die Musiker. Das irisierende Umfeld Andy Warhols war in der knapp dreijährigen fruchtbaren Phase der Band mindestens ebenso Bestandteil der Musik wie Cales Viola oder Reeds bordunierendes Gitarrespiel, das anschließend Millionen Gitarristen zu kopieren versuchten. Die Konsequenz, mit der die Band ihr Feuer verschoß und sich anschließend zersetzte (1972 existierte Velvet Underground noch ohne eines der ursprünglichen Mitglieder), machte ebenso Sinn wie das schnelle Ende der Sex Pistols zehn Jahre später. Explosion in Konserve funktioniert eben nicht.

Natürlich läßt sich die Unmöglichkeit dieses Unterfangens nur im Verhältnis zu den Ansprüchen der Band beschimpfen. Verglichen mit der fast zur selben Zeit stattfindenden Beach Boys-Revival-Tour wird ein Velvet Underground-Konzert auch heute noch die Qualität eines Kunstwunders erreichen. Till Briegleb

11. 6., Sporthalle