: Neu im Cinema
■ Fußball — das lächerliche Leben
„Nordkurve“ — Adolf Winkelmanns vielbeachteter diesjähriger Spielfilm ist ein Film über den Fußball. Ein Film über das Leben. Über Jungs und Männer, die saufen und lieben, angeben und betrügen und immer wieder draufhauen. Ein Film über die Suche nach Aufregung und Glück und dem Sinn des Lebens rund um ein Bundesliga-Fußballspiel. Witzig, zynisch, anrührend, bitter und manchmal zum Kotzen. Eine dieser Komödien, die „Lachen machen, und die zum Weinen sind“ (I.Bachmann).
Samstag — Fußballtag. Im Dortmunder Westfalenstadion kämpft heute die heimische Mannschaft Union 86 gegen ihren Abstieg. Allüberall wird aufgerüstet, im Liebesbett des Ersatzspielers und im Vereinslokal, wo die Veteranen sitzen; in der Manageretage beim Haschen nach Geld und beim letzten Training der Unions-Spieler, deren Trainer genauso dummschlau ist wie weiland Rummenigge beim Fernsehmoderieren.
Die Fans der auswärtigen Mannschaft sitzen in ihrem Bus und haben schon vormittag genug Bier intus, um beiläufig einen mitfahrenden Türken blutig zu schlagen. Später werden die beiden feindlichen Fanclubs im besten Westsidestory-Stil aufeinanderzu marschieren, lächerlich und beängstigend zugleich in ihrer stumpfsinnigen Sehnsucht, daß einmal etwas passieren möge.
Hubsi, der Anführer der Dortmunder Hooligans, ist eigentlich ein netter Junge. Wenn er dem verrückten Trinker und ehemaligen Torwart Gottschalk (Rolf Dennemann) einen Fußball ins Gesicht knallt, daß die Lippe platzt, dann tröstet er ihn doch gleich und reicht ihm ein Taschentuch. Und ohne Hubsis coole Stichelein wäre der Ex-Star und Vereinslokalinhaber Teddy Klamm (Christian Tasche) vielleicht für immer ein resignierter Schwächling geblieben, mit dem seine Frau Uschi (Renate Krößner) keine Nächte mehr verbringen will.
Winkelmanns Film (mit der ausgezeichneten, schnellen und doch einfühlsamen Kamera von David Slama) treibt viele kleine Alltagsepisoden auf den Höhepunkt. Das alltägliche Leben rund um den Fußball verflicht sich zu einem Lebensbild unseres heutigen Deutschlands. Voller Aggressionen, die sich auf Teufel komm raus entladen wollen, voller Betrug und Selbstbetrug und billigem Überlebenskampf. „Wie teuer, sagten Sie, ist einer dieser Männer“, fragt die reiche Witwe, mit deren Geld ein spanischer Spieler eingehandelt werden soll. „Sie sind eine Investition, die am Tag des Wiederverkaufs was erwirtschaftet haben soll“, antwortet Vereinsschatzmeister Dennemann, der noch am selben Tag vom Widerling und Spielervermittler Beyer gnadenlos ausgebootet wird.
Wer noch nie live in einem Fußballstadion dabei war, sieht zwar wenig vom Spiel (welches übrigens, wie kann es anders sein, unentschieden endet), dafür aber kann sie Winkelmann hinter alle Kulissen folgen. Schön ist es dort nicht, zum Lachen aber und zum Weinen.
Cornelia Kurth
Cinema, Fr./ Sa.: 19.00 u. 23 Uhr; So.-Do.: 23 Uhr
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