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Überqueren praktisch unmöglich

■ Serie: Berlins schlimmste Straßen (4): In der Turmstraße in Moabit ist die Unfalldichte besonders hoch, obwohl sie nicht als große Durchgangsstraße gilt

Rein ins Kaufhaus, schnell, schnell eingekauft, raus und ab ins Auto, warum läßt mich der Blödmann nicht aus der Parklücke, jetzt aber Vollgas, wo kommt denn der Bus her – und schon ist es passiert: zwar noch rechtzeitig gebremst, aber der Hintermann hängt drauf. Ein typischer Unfall in einer belebten Geschäftsstraße, so auch in der Turmstraße in Moabit.

Zwar ist sie auf einem langen Stück entlang des Kleinen Tiergartens nur einseitig bebaut, doch die Unfälle häufen sich. Daran ändert auch nichts, daß die Turmstraße nicht einmal als Durchgangsstraße gilt, wie etwa die Entlastungsstraße oder die Straße des 17. Juni, in denen es im Bezirk Tiergarten regelmäßig knallt.

Fast 2,8 Millionen Mark volkswirtschaftlicher Schaden entstehen jährlich pro Kilometer, so lautet das erschreckende Ergebnis der „Studie zur stadtverträglichen Belastbarkeit der Berliner Innenstadt durch den Kfz-Verkehr“. Auffällig hoch ist dabei der Kostenanteil durch Personenschäden, was sich jedoch durch einen hohen Fußgängeranteil in Geschäfts- und Wohnstraßen erklären läßt. 54.000 Mark gesellschaftlicher Kosten veranschlagt die Gutachtergruppe der Berliner Gesellschaft für Informatik, Verkehrs- und Umweltplanung (IVU) und der Berliner Forschungsgruppe Stadt und Verkehr (FGS) durch eine schwerverletzte Person, als Basiswert für einen Leichtverletzten gelten 4.100 Mark.

Diese Zahlen, mit denen Verletzungen und auch tödliche Unfälle in Heller und Pfennig umgerechnet werden sollen, sind keinesfalls makabre Einfälle der Gutachter, sondern Richtwerte, die für Straßenplaner festgeschrieben sind. Mit ihnen sollen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen angestellt werden. Folgt man diesen kalten Rechenspielchen, ist der volkswirtschaftliche Schaden der Turmstraße jenseits jeder Toleranzgrenze.

Zwar sei bei realistischer Einschätzung des Straßenverkehrs völlige Unfallfreiheit nicht möglich, doch gebe es Orientierungs- und Alarmwerte, so die Gutachter. Als Orientierungswert legte die damalige Auftraggeberin Michaele Schreyer eine Kostendichte von 800.000 Mark pro Kilometer fest. Das Dreieinhalbfache kostet jeder Kilometer Turmstraße jedoch wirklich, ergab die Untersuchung. Auch der Alarmwert von 1,6 Millionen Mark, der Verkehrsplaner zu sofortigen Gegenmaßnahmen zwingen müßte, wird bei weitem überschritten.

Doch noch fahren die Autos, besondere Raser und Verkehrsbehinderungen ausgenommen, mit durchschnittlich gut 60 Kilometern in der Stunde durch die Moabiter Turmstraße. Und den Fußgängern, die von einer Seite zur anderen möchten, fehlen im Schnitt 25 Sekunden zu einer sicheren Überquerung; die Lücken im Verkehr sind viel zu kurz.

Völlig gemieden werden sollte die Kreuzung zur Stromstraße: Hier grenzt eine freie Überquerung praktisch ans Unmögliche, das Durchschnittstempo ist noch höher und die Unfallkostendichte mit gut 1,7 Millionen pro Kilometer ebenfalls über dem Alarmwert. Den Berliner Kammerspielen sollten sich Kulturfreunde also besser per Boot von der Spree her vorsichtig nähern. Christian Arns

In der nächsten Folge raten wir von der Brunnenstraße ab.

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