piwik no script img

»Geld oder Ehre«

Ex-BürgerschaftlerInnen kritisieren die  ■ Parlamentsreform

„Wo bitte geht's hier zum Seniorentreff?“, bemüht die ehemalige CDU-Hinterbänklerin den Rathausdiener, der sie nur ratlos anschaut. Er kennt sie wohl noch nicht, die „Vereinigung ehemaliger Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft“, vor einem halben Jahr ins Leben gerufen und mittlerweile auf stattliche 77 Mitglieder angewachsen. Zum ersten Mal hatte der Ehemaligenverein am Donnerstag seine MitstreiterInnen zur Podiums-Diskussion ins Rathaus geladen. Parlamentsreform heißt das Thema.

Doch die Stuhlreihen sind genauso stark gelichtet wie das Haupthaar der meisten männlichen Besucher. Nur rund ein Dutzend in Ehren ergraute Alt-Palamentarier haben die beschwerlichen Rathausstufen hinauf zum Kaisersaal erklommen, um zu hören, was diese jungen Spunde nun schon wieder ausgeheckt haben. Aber auch die eingeladenen Parteienvertreter haben ihre VorgängerInnen scheinbar schon vergessen. Bürgerschaftsvizepräsident Klaus Lattmann von der CDU („Der hört nu ja auch auf und kommt sicher bald zu uns“, munkeln zwei Alt-Parlamentarier auf dem Rathausflur) und der Freidemokrat Frank-Michael Wiegand bleiben der Veranstaltung trotz Zusage unentschuldigt fern.

Anwesend sind hingegen neben Wolfgang Hoffmann-Riem, dem Vorsitzenden der Enquete-Kommission Parlamentsreform, auch der SPD-Geschäftsführer Paul Busse und der GALier Martin Schmidt. Der paßt mit seinem angegrauten Bart von allen grünen BürgerschaftlerInnen optisch noch am ehesten in das SeniorInnen-Ambiente, verfügt hier aber über einen äußerst geringen Bekanntheitsgrad („Schmidt? — Kenn ich nich — Ist der von der FDP?“).

Busse, Hoffmann-Riem und Schmidt müssen die Stimmbänder mächtig vibrieren lassen, um die Zwischenrufe, Marke: „Geht es nicht ein bißchen lauter?“, auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Dagegen hat die alte Garde — sind auch die Ohren schwächer geworden — vokalistisch noch immer einiges zu bieten. Ein ehemaliger CDU-Funktionär und sein Kollege, der einst für die Sozis die Hand hob, legen sich bei ihren Statements ins Zeug, als würden sie noch einmal hinter der Bürgerschaftskanzel stehen und müßten auch ohne diese neumodischen Verstärkeranlagen mit ihrer Stimme den Plenarsaal in Schwingungen versetzen. Der frühere CDU-Abgeordnete Plattner erhebt sich sogar von seinem Schemel, um mit raumfüllenden Gesten und mit viel falschem Pathos der jungen Generation die Lehren aus der guten alten Zeit ins Stammbuch zu schrei(b)en.

Besondere Kritik hat die Ehemaligen-Riege an dem Vorschlag der Enquete-Kommission, das Feierabendparlament für Berufspolitikerinnen zu öffnen, und diesen dann 6800 Mark Bruttogage statt bislang 1900 Mark netto zu überweisen. Da sind sie mit Paule Busse ganz uneins, der meint, mit diesem geringen Bezug könnten „höchstens Sozialpädagogen“ motiviert werden, ihren Job gegen einen Bürgerschaftssessel einzutauschen.

„Es gibt nur eins, Geld oder Ehre“, wettert ein Parlamentsveteran, der „ein Grauen vor Karrierepolitikern“ hat. Eine Bürgerschaftsabgeordnete der ersten Stunde, die 34 Jahre lang die Hinterbank drückte, erinnert sich mit nostalgisch verklärtem Blick an die Zeiten, in denen sie erst für nothing und später für 300 Mark Aufwandsentschädigung im Monat „am Aufbau der Hansestadt mitgewirkt“ hat. „Wenn sich so ein Jungbürgerschaftler erstmal an diesen Finanzstatus gewöhnt hat, dann will der doch nie wieder raus aus'm Parlament“, gibt ein ehemaliger Senator zu bedenken und ergänzt: „Wir haben nie in Heller und Pfennig gedacht.“ Wohl wahr, da tagte im Kaisersaal eine ganz andere Politikergeneration. Marco Carini

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen