: "Kein Durchbruch, aber Fortschritte"
■ Interview mit Professor Karl-Otto Habermehl, Vorsitzender und Cheforganisator der 9. Internationalen Welt-Aids-Konferenz in Berlin, über seine Erwartungen an die Konferenz und spannende...
taz: Herr Habermehl, ein HIV- Patient hat kürzlich die Welt-Aids- Konferenz als „Brimborium maximum“ bezeichnet, von dem für die Betroffenen bisher wenig Hoffnung ausging. Kann Berlin positive Signale setzen?
Karl-Otto Habermehl: Ich kenne viel zuviel Leute, die laufend Signale setzen wollen. Die entscheidende Frage ist, ob eine solche Konferenz für die Betroffenen von Nutzen ist, ob sie was davon haben. Bei der HIV-Erkrankung warten die Menschen immer auf den großen Durchbruch, da gibt es eine riesige Erwartungshaltung, die wir kaum erfüllen können. Vergleichen Sie das mit Krebs, wo wir eine ähnliche Situation haben, auch dort haben wir großartige Fortschritte. Wir können jetzt bestimmte Krebserkrankungen heilen – davon haben wir früher nur geträumt – aber wir können nicht den Krebs behandeln. Dasselbe gilt für HIV. Es gibt einen ungeheuren Fortschritt, aber für den Patienten, der vielleicht den Tod vor Augen hat, ist das noch kein Durchbruch.
Aber die Patienten sollen von der Konferenz profitieren?
Das werden sie. Sinn dieser Konferenz ist es, alle Teilnehmer auf den neuesten Stand zu bringen. Das ist dringend notwendig. In der Forschung können acht Wochen schon eine lange Zeit sein. Wenn man auf dem neuesten Stand ist, dann werden falsche Forschungswege vermieden, es wird Doppelforschung vermieden, es wird Geld und Zeit gespart, es kommen neue Ideen, und man erhält Einblick in andere Disziplinen.
Trotzdem bleibt es ein gigantischer Aufwand. In kleineren Runden wäre solch ein Gedankenaustausch vermutlich effektiver. Jetzt kommen 12.000 vielleicht sogar 15.000 Teilnehmer zu einem der größten Wissenschaftsmeetings, das die Welt jemals gesehen hat. Das ist auch ein riesiges und kostspieliges Spektakel.
Es gibt vielleicht Leute, die daraus ein Spektakel machen wollen. Mich interessiert nicht das Spektakel, sondern die Information. Und dieser Kongreß wird eine Flut von Information in außerordentlicher Konzentration und von höchster Qualität liefern. Wenn der Kongreß außerdem noch dazu dient, das Bewußtsein für Aids zu verstärken, die Prävention zu unterstützen, vielleicht auch die Toleranz zu fördern, dann sind das schöne und kostenlose Nebeneffekte.
Die bisherigen Kongresse haben gezeigt, daß authentische Berichte von Kranken, von Prostituierten, Drogen-Usern, Sozialarbeitern meistens eindringlicher und interessanter waren als wohlformulierte Plenumsvorträge. Wird diese Tradition in Berlin fortgesetzt?
Natürlich. Selbst zur Eröffnung werden Vertreter von Kranken und Selbsthilfegruppen sprechen. Wir haben diese Leute fest mit eingebunden. Die Eröffnung wird sehr kurz sein. Wir haben keine Musikaufführung eingeplant, und auch sonst findet kein Spektakel statt. Dies ist nun mal keine Oper, sondern ein Aids-Kongreß.
Die größte Schwäche aller bisherigen Aidskonferenzen war die schwache Präsenz derjenigen Länder, die am schlimmsten von der Aids-Pandemie betroffen sind: Die Länder Afrikas, Lateinamerikas, Asiens. Auch Osteuropa war meist schlecht vertreten. Haben Sie sich dafür eingesetzt, daß dies in Berlin besser wird?
Das war eines unserer Hauptprobleme. Daß Aids in den afrikanischen Ländern ein Riesenproblem ist, weiß inzwischen jeder. Jetzt kommt die Entwicklung in Asien und Lateinamerika hinzu. Sie ist dramatischer, als alle Fachleute geglaubt haben. Es gibt inzwischen viele Epidemiologen, die befürchten, daß Aids in Asien noch verheerender wüten wird als in Afrika. Wir haben versucht, diese Entwicklung zu berücksichtigen. Unser Ziel war: Experten zu finden, die fachlich hundertprozentig sind, und gleichzeitig die Dritte Welt einzubinden, denn da brennt es lichterloh. Wir haben deshalb drei bis vier Millionen Mark für Stipendien ausgegeben, vom Flugticket bis zur Unterbringung, um mehr Teilnehmer aus der Dritten Welt nach Berlin zu holen. Die Osteuropäer reisen meist mit der Bahn an, sie haben einen Koffer voller Nahrungsmittel dabei und ernähren sich dann aus der Tüte. Für die Afrikaner haben wir 5.000 bis 6.000 Mark pro Teilnehmer bezahlt.
Die Deutsche Aids-Hilfe hatte mangels Spenden große Probleme, Aktivisten aus afrikanischen und asiatischen Staaten nach Berlin zu holen.
Wir haben mit der Aids-Hilfe wunderbar zusammengearbeitet. Tatsache ist, daß wir auf jeden Fall bei den Teilnehmern aus der Dritten Welt die Zahlen von Amsterdam übertreffen. Wir werden mehr als 2.000 Teilnehmer aus diesen Ländern in Berlin haben.
Bei 15.000 Teilnehmern insgesamt?
Wir haben uns auf maximal 15.000 eingerichtet, das ist richtig. Mit Zahlen sind wir etwas vorsichtig. In der Regel wird bei solchen Kongressen entsetzlich geschwindelt.
Man hat Ihnen vorgeworfen, sie würden als Virologe Aids nur unterm Labormikroskop kennen. Inzwischen sind Sie auch von der Aids-Hilfe für ihre Lernfähigkeit gelobt worden. Wie weit hat sich Ihre persönliche Wahrnehmung von Aids durch die Organisation des Kongresses verändert?
Sie hat sich tatsächlich etwas geändert. Die soziale Dimension dieser Krankheit war mir allerdings schon vorher vertraut. Ich bin von Haus aus Kliniker und kenne schwerkranke Patienten. Und ich befasse mich seit mehr als zehn Jahren mit Aids. Aber ich habe auch dazugelernt. Die Arbeit der Selbsthilfegruppen und Patientenorganisationen habe ich zuvor nicht in dem Maße gekannt. Die weltweite Dimension dieser intensiven Anstrengungen, das hat mich beeindruckt. Da wird viel mehr bewegt, als ich jemals dachte.
Welches Verhältnis von sozialen und medizinisch-wissenschaftlichen Themen hat der Kongreß?
Die Aufteilung ist fifty-fifty. Wir haben es allerdings nicht wie die Politiker gemacht und auf Ausgewogenheit geachtet, sondern die Themen in schwierigen Verhandlungen in den Organisationskomitees nach der objektiven Notwendigkeit festgelegt. Natürlich gab es dabei auch bizarre Vorstellungen, die wir nicht erfüllen konnten.
Wo gab es denn Konflikte?
Wir haben darauf bestanden, daß die Sprecher wirklich etwas zu sagen haben und nicht nur auftreten wollen. Ein Patient darf nicht nur Patient sein, der berichtet, wie schlimm diese Krankheit ist. Er muß den Zuhörern darüber hinaus eine Information geben. Es gibt in allen Teilen der Welt Menschen, die beide Kriterien erfüllen.
Welches sind für Sie als Virologe die spannendsten Fragestellungen auf diesem Kongreß?
Die Krankheitsentstehung ist noch nicht ausreichend geklärt. Wir wissen, daß es immer dann zur Ausbildung des Aids-Syndroms kommt, wenn die Zahl der T-Helferzellen stark vermindert wird. Die wichtigste Frage lautet: Warum dauert das so lange? Wenn die immunkompetenten Zellen auf einen Ruck gestört wären und wir dann opportunistische Infektionen hätten, wie zum Beispiel nach den Masern, dann wäre das leicht zu verstehen. Bei Aids dauert das aber sehr lange, und manche Infizierte werden selbst nach mehr als zwölf Jahren noch nicht krank. Vielleicht werden einige niemals an Aids erkranken. Aber warum? Das Virus baut seine Erbinformation in das Erbgefüge der menschlichen Zellen ein. Wenn es darin ruht, merken Sie überhaupt nichts. Sie sind infiziert, aber nicht krank. Aber irgendwann wird die Virusinformation angeschaltet, die Wirtszelle gestört oder zerstört, und es werden neue Viren produziert. Wir sagen: Wo neues Virus produziert wird, muß man durch Hemmstoffe diese Produktion doch irgendwie stoppen können. Aber dann müßten wir lebenslang solche Hemmstoffe verabreichen. Gegenwärtig sind die Medikamente, zum Beispiel AZT, aber noch so toxisch, daß sie nicht lebenslang genommen werden können.
Gibt es an diesem Punkt neue wichtige Erkenntnisse, die auf dem Kongreß vorgestellt werden?
Ganz sicher. Ich will Ihnen nur ein Beispiel geben: Wir sind heute in der Lage, über gentechnische Methoden Virus-Mutanten routinemäßig herauszufischen, die gegen Arzneimittel wie AZT resistent geworden sind. Die können Sie heute exakt bestimmen, und Sie können sagen, daß die Resistenz auf der Mutation in ganz bestimmten Genbereichen beruht. Eine solche Diagnostik wäre noch vor zehn Jahren Science-fiction gewesen.
Welches ist für Sie der momentan interessanteste Ansatz in der Therapie von Aids?
Für mich ist das die Gen-Therapie. Das Problem bei Aids: Wir werden das genetische Material des Virus nicht los, weil es in die genetische Substanz der menschlichen Zellen, also in die Erbmasse eingebaut ist. Wir bleiben lebenslang infiziert mit einer ruhenden Zeitbombe, die irgendwann angeschaltet wird. Diesen Prozeß des Anschaltens kann man vielleicht regulieren. Vielleicht! Wir müssen dazu neues genetisches Material in die Zellen einschleusen und versuchen, damit das Virusmaterial in der Zelle zu regulieren, also lahmzulegen. Es gibt andere Gen-Defekte beim Menschen, wo man ganz ähnlich vorgegangen ist. Vielleicht klappt das auch bei Aids. Aber wir können gegenwärtig noch nichts über die Aussichten solcher einer Therapie sagen.
Wie funktioniert so was im Detail?
Man nimmt Blut des Patienten, züchtet die T-Helferzellen, schleust in diese Zellen ein anderes Virus rein, das einen Regulator hat, also bestimmte Nukleinsäuren, die für das An- und Abschalten eines Gens verantwortlich sind. Dieser Regulator bremst vielleicht das Aids-Virus HIV. Dann transportiert man die so manipulierten Zellen in den Patienten zurück. Und man darf im günstigsten Fall damit rechnen, daß sie künftig kein HIV-Material mehr produzieren.
Klingt wirklich nach Science- fiction.
Das ist außerordentlich aufregend und hochaktuell. Allerdings werden auf unserem Kongreß noch keine konkreten Ergebnisse vorliegen.
AZT gilt noch immer als wirksamstes Aids-Medikament. Gibt es andere erfolgversprechende Arzneien?
Es werden auf dem Kongreß eine Reihe neuer Ergebnisse vorgelegt zu Substanzen, die das Virus in verschiedenen Phasen seiner Vermehrung angreifen. Ob diese Substanzen wirklich effektiv sind, das läßt sich noch nicht sagen. Es ist der Sinn dieses Kongresses, zu prüfen und miteinander zu diskutieren, wo die erfolgversprechendsten Ansätze liegen. Den großen Durchbruch werden wir allerdings auch in Berlin nicht haben. Wenn wir eine Besserung erzielen, also eine Verlängerung der Lebenszeit und eine bessere Lebensqualität, dann ist schon viel gewonnen.
Selbsthilfegruppen haben, ähnlich wie beim Bau der amerikanischen Atombombe, ein Manhattan-Projekt im Kampf gegen Aids gefordert, um endlich den Durchbruch zu schaffen, also eine Konzentration und Bündelung der Kräfte in der Arzneimittel-Forschung. Was halten Sie davon?
Ich glaube, daß man bei Aids kaum noch mehr machen kann, als augenblicklich getan wird. Man kann über eine bessere Koordination der Forschung reden. Aber die Anstrengungen sind ungeheuerlich. Die ganze Welt arbeitet in der Aids-Forschung. Wir dürfen dabei nicht vergessen, daß Aids nicht die einzige Krankheit ist. Es sterben gegenwärtig noch weit mehr Menschen an Malaria und Tuberkulose als an Aids. An Krebs stirbt jeder fünfte Mensch. Undifferenzierte Forderungen nach noch mehr Forschung bringen uns sicherlich nicht weiter.
In den letzten Jahren sind die Forschungsmittel und auch die Gelder für die Prävention in vielen Ländern ziemlich zusammengestrichen worden, unter anderem auch in Deutschland.
Die Mittel werden knapper, das ist richtig. Es war aber auch notwendig, in der Forschung die Spreu vom Weizen zu trennen und zu überprüfen, wo sinnvolle Dinge getan werden und wo, außer ständigen Presseberichten im Acht- Wochen-Turnus, eigentlich nichts Verwertbares zustande kommt. Wirklich relevante Forschung wird sicher nicht an den Geldmitteln scheitern. Und ein wenig mehr Konkurrenz kann auch nicht schaden. Interview: Manfred Kriener
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