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Aussperrung der Bosse

Die Leipziger Kugellagerfabrik ist besetzt / ArbeiterInnen protestieren mit „unverminderter Produktion“ gegen Kaputtsanierung  ■ Aus Leipzig Detlef Krell

Nichts deutet im Industriegebiet Böhlitz-Ehrenberg am Rand von Leipzig auf die Existenz einer „Deutschen Kugellagerfabrik“ hin. Keine werbenden Wände, nicht einmal ein Hinweisschild. Es scheint, als wäre das Leipzig-Kapitel der Firmengeschichte abgeschlossen. Die 1.000 MitarbeiterInnen des vor zweieinhalb Jahren privatisierten Betriebes haben für diesen Verdacht jedoch noch andere Gründe.

500 Kündigungen sind bereits ausgesprochen worden, weitere 200 sollen folgen. Nicht eine Produktionsabteilung wäre nach diesem Aderlaß noch arbeitsfähig, und auch die drei Thüringer Standorte könnten schon aus technischen Gründen nicht ohne die Leipziger existieren. Laut Sanierungskonzept sollen bis 1995 von 2.065 Arbeitsplätzen an den vier Standorten nur 950 übrigbleiben.

Seit Mittwoch vergangener Woche hängt am Schlagbaum des Betriebes ein Transparent: „Besetzt“. Die Posten lassen jeden passieren, der zu den Ihren gehört. Nur die Chefs dürfen nicht hinein. „Wir bewachen unsere Arbeitsplätze“, erklärt Betriebsrat Olav Scharr. „Die Geschäftsleitung will sie uns wegnehmen, also lassen wir die Bosse nicht ins Werk.“

Bis gestern lief unter der Regie der Belegschaft rund um die Uhr die Produktion weiter. „Wir beweisen, daß es auch ohne die Bosse geht“, stellte ein Arbeiter klar. Obwohl die Geschäftsleitung „mit allen Mitteln“ versuche, die Produktion zu behindern, wurden „gute Tagesleistungen“ gebracht, resümierte der Betriebsrat nicht ohne Stolz. „Die sollen sich nicht einfallen lassen, über die Bezahlung zu diskutieren, dann gibt es noch mehr Ärger.“

Ob am Montag weiterproduziert werden kann, ist ungewiß. Das Material wird knapp, und Aufträge kommen nicht mehr rein. Vor allem fehlen Schmiermittel für die Maschinen. Die ausgesperrte Geschäftsleitung weigert sich, ihre Unterschrift unter ein Bestellformular zu setzen.

Die Deutsche Kugellagerfabrik Leipzig GmbH ist hundertprozentige Tochter der FAG Kugelfischer Schweinfurt. Mit ihren Wälzlagern ist sie überall dort gefragt, wo sich Räder drehen sollen. Auf dem Osteuropa-Markt sind ihr nur einige Inseln verblieben; der wichtigste Markt für beide Betriebe liegt im Inland.

Für die KollegInnen gilt es als ziemlich sicher, daß sie dem vermeintlichen Investor nur im Wege waren. „Der will uns als Konkurrenten weghaben“, heißt es am Postenstand.

Auch Leipzigs Oberbürgermeister Hinrich-Lehmann Grube (SPD) gab ihnen recht, als er gleich am ersten Aktionstag mit einem Kasten Bier vorbeikam: „Ich habe das dumpfe Gefühl, Ihre Geschäftsführer sind nichts anderes als die Exekutoren für diesen Betrieb“, rief er den ArbeiterInnen zu. Er wolle „alles tun, um eine politische Allianz zusammenzustellen, damit wir den Sanierern in Bayern auf den Pelz rücken.“ Als dann tatsächlich der sächsische Wirtschaftsminister zu einem Gespräch mit Betriebsrat, Gewerkschaft und Oberbürgermeister nach Leipzig kam, seien „die Erwartungen nicht allzu hoch“ gewesen, gibt Olav Scharr zu. Doch Kajo Schommer (CDU) stellte sich auf die Seite der Belegschaft. Ohne Umschweife forderte er die Chefetage in Schweinfurt auf, die Kündigungen zurückzunehmen. Zudem solle das Unternehmen nachweisen, „daß Vermutungen über Produktverlagerungen, gezielte Kündigungen, über die Umstellung von Groß- auf Kleinserien und die Verlagerung von Konstruktions- und Vertriebsunterlagen nach Schweinfurt nicht zutreffen.“ Er wurde noch deutlicher: die FAG betreibe „gezielte Marktbereinigung“.

Schommer erklärte sich bereit, „hier oder in Schweinfurt“ mit der Geschäftsleitung zu sprechen: „Wenn es eine Sanierungslösung gibt, dann kann sie nur heißen: FAG und DKFL, und nicht nur FAG.“ Sollte eine Sanierung möglich sein, so würde diese „nicht an fehlenden finanziellen Möglichkeiten des Freistaates Sachsen scheitern.“ An die Banken appellierte Schommer, gleichfalls, ihre „Verantwortung“ zu erfüllen. Landesbeteiligung am Unternehmen schloß er jedoch aus.

In Schweinfurt wurde diese Sprache offenbar nicht verstanden. Die Firmenleitung besteht weiter auf den Kündigungen. „Jetzt brennt hier die Luft“, teilte Olav Scharr gestern mit. Die Belegschaft ließ es an einer vernehmlichen Antwort nicht fehlen. Sie riegelt nun auch das Behelfsbüro der Geschäftsleitung, in einer Baracke unweit des Werkes, hermetisch ab.

Die Kugellagerwerker wissen, daß ihre Aktion „illegal“ ist. „Auf der rechtlichen Strecke wären wir nicht weit gekommen“, meint einer der Arbeiter. „Wir haben die Aktion ganz bewußt so und nicht anders gemacht.“ Jeder soll sehen, daß die KollegInnen den Betrieb erhalten und nicht etwa „kaputtstreiken“ wollen — ein Signal, das sehr wohl angekommt. Täglich treffen Solidaritätsschreiben und Spenden aus anderen Betrieben ein. Die gesamte Belegschaft des benachbarten Getriebewerkes kam vorbei und klopfte den Posten auf die Schultern. Auch Geschäftsführer Günther Kleinhenz ließ sich noch einmal blicken, nachdem er von den Posten erfahren hatte, er sei „nicht erwünscht“ — mit Polizei. Doch nachdem die Beamten mit dem Oberbürgermeister gesprochen hatten, zogen sie wieder ab.

Bevor die Massenkündigung nicht vom Tisch ist, wollen sich die Leipziger Kugellagerwerker selbst verwalten. Betriebsrat Scharr hat sich bereits eine einstweilige Verfügung eingehandelt, mit der er aufgefordert wird, jegliche Leitung dieser Aktion zu unterlassen, ansonsten müsse er mit einer Geldstrafe von 500.000 DM oder 6 Monaten Haft rechnen. „Da haben die Kollegen gesagt: Wir gehen für dich in den Knast“, erinnert sich Olav Scharr. Inzwischen ist es für den Betriebsrat aber auch kein Problem mehr, sich an die Verfügung zu halten: „Die Kollegen wissen selbst, was zu tun ist.“

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