: Rechte seit Jahren in Solingen aktiv
■ Jetzt bereuen die Stadtoberen ihre Verharmlosungen
Solingen (taz) – Als der Solinger Bürgermeister Bernd Krebs kurz nach dem Mordanschlag zur rechtsradikalen Szene in seiner Stadt befragt wurde, da ließ er die Reporter wissen, daß es Rechtsextremisten in seiner Stadt gar nicht gebe. OB Gerd Kaimer äußerte sich einen Tag später im gleichen Sinne: „Ich habe mich echt gefragt, wie war das denn bei uns mit der rechtsradikalen Szene? Es gibt einige anonyme Briefe, es gibt das eine oder andere, aber nicht mehr und nicht weniger als in anderen Städten.“
Letzteres stimmt, in Solingen herrscht deutsche Normalität, doch die sieht schon lange nicht mehr so aus, wie nicht nur die Kommunalpolitiker sie darzustellen suchen. Das „eine oder andere“ entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eine Kette von rassistischen, rechtsradikalen Übergriffen – auch in Solingen.
Allein seit Mai 1992 hat es 17 von Antifaschisten der Stadt aufgelistete Propagandaktionen oder Überfälle gegeben. Schon im Mai 1992 drangen zwei mit Eisenstangen bewaffnete Skins in ein Flüchtlingsheim an der Bahnstraße ein. Dabei verletzten sie vier Personen. Die Täter wurden gefaßt und verurteilt: zwei Jahre Bewährungsstrafe. Danach gab es viele Überfälle, Flugblatt- und Sprühaktionen der rechtsradikalen Szene, bis Anfang dieses Jahres zwei Brandanschläge auf Moscheen folgten. Die Polizei suchte nach Angaben von Gläubigen diese Anschläge auf innertürkische Reibereien abzuschieben. Genau eine Woche vor Pfingsten brannte das Geschäft eines türkischen Lebensmittelhändlers.
Auch vor dem Mai 1992 gab es das „eine oder andere“. Wie aktiv die rechte Szene in der Stadt tatsächlich agierte, läßt sich einer knapp hundertseitigen Dokumentation entnehmen, die der frühere Solinger DKP-Vorsitzende Frank Knoche erstellt hat. FAP, NPD, DVU, REP und diverse Kleinstgruppen, wie etwa die „Bergische Front“, tummeln sich mit ihrer Hetze seit Jahren in der Stadt. Einer der gestern Festgenommenen soll Mitglied der DVU sein.
Besonders bekannt in der Solinger rechtsradikalen Szene ist Bernd Koch. Mal war er Kreisvorsitzender der FAP, dann wieder „Stabschef“ der „Bergischen Front“, die das bergische Land (Solingen, Remscheid, Wuppertal) politisch zu „säubern“ versprach. „Wir werden“, so verkündete die sich zum „Führerprinzip“ bekennende Front schon im September 1988, „nicht mehr länger mit zusehen, wie diese bergischen Städte von Unrat des politischen Mülls überzogen werden.“ Schon 1983 hatte ein Düsseldorfer Gericht Koch zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt, weil er Drohbriefe an Kommunisten, Frauenhäuser und Ausländertreffpunkte geschrieben hatte. Die inzwischen offenbar zerbröselte „Bergische Front“ war von einem Sozialwissenschaftler, der die rechte Szene im Auftrag der Stadt unter die Lupe genommen hatte, schon 1990 mit direkten Bedrohungen von Ausländern und Asylbewerbern in Verbindung gebracht worden.
Der Mordanschlag am Pfingstsamstag hatte einen langen Vorlauf rassistischer Hetze und rechtsradikaler Gewalt – gerade auch in Solingen. Während der Trauerfeier sprach OB Kaimer, der erst von einer rechtsradikalen Szene in seiner Stadt nichts wissen wollte, von „Versäumnissen“ und davon, daß „wir uns Verharmlosungen nicht erlauben können“. Die Einsicht kommt spät. J.S.
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