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„Mitläufertum ist da ein Menschenrecht“

Johann Kresnik soll mit seinem Tanzensemble nächstes Jahr für die Volksbühne nach Berlin engagiert werden. Aber das kostet. Ein Interview mit dem Choreographen über Steuern, Intendantenlöhne und Ostdeutsche  ■ von Michaela Schlagenwerth

taz: Herr Kresnik, kurz nachdem Ihr Kommentar zu den Folgen der Wiedervereinigung, das Stück „Wendewut“ Ende Januar in Bremen Premiere hatte, sind Sie selbst in den Osten gefahren und haben dort gearbeitet.

Johann Kresnik: Ja, ich war in Rostock und habe für eineinhalb Wochen an der Neueinstudierung von „Familiendialog“ (Uraufführung 1980 in Heidelberg) mitgearbeitet. Das Stück habe ich dem Theater praktisch geschenkt, ich habe keine Gage genommen. Dafür haben mir die Tänzer zur Premiere einen roten Trabbi geschenkt, und seitdem bin ich der einzige in Bremen mit einem roten Trabbi.

Sie fahren damit?

Ja, ich habe ihn angemeldet und fahre damit. Sonst hatte ich nur ein großes Wohnmobil für den Urlaub, und jetzt habe ich noch den Trabbi.

Wie waren Ihre Eindrücke von den Zuständen in Rostock?

Erschreckend. Ich kam gerade zu dem Zeitpunkt nach Rostock, als alle Gagen gekürzt wurden. Manche Tänzer konnten es sich bei 15 Grad unter Null nicht leisten, zu Hause zu heizen. Zwei Mahlzeiten haben sie in der Kantine gegessen, und das war's für den ganzen Tag. Ich dachte, ich bin nach dem Krieg da. Und abends floß natürlich der Wodka aus Verzweiflung.

In Ihrem Stück „Wendewut“ schildern Sie eine angepaßte DDR-Bürgerin und ihre Probleme nach der Wende mit sehr viel Symphatie und Mitgefühl. Ein Widerspruch zu dem kritischen Blick, mit dem Sie in Ihren anderen Stücken das angepaßte westdeutsche Kleinbürgertum seziert und attackiert haben.

Wissen Sie, wenn ich 40 Jahre in so einem Staat lebe, werde ich automatisch zum Mitläufer. Ich muß doch irgendwie existieren, ich muß arbeiten, Geld haben. Nicht jeder hat den Mut, Widerstand gegen so einen Staat zu leisten – man weiß doch, was in der ehemaligen DDR passiert ist mit solchen Leuten, die sind doch alle eingesperrt worden. Mitläufertum ist da ein Menschenrecht. Heute ist die moralische Mauer größer, als es die reale war, und die Mitläufer im Westen äußern sich gnadenlos über die Mitläufer im Osten. Ich halte es für dringend notwendig, das zu thematisieren. Immer und immer wieder.

Sie kommen jetzt aus Basel, wo Sie eine Neufassung von „Mars“ (Uraufführung 1983 in Heidelberg) nach dem autobiographischen Roman von Fritz Zorn inszeniert haben. Es gibt nicht nur einen formalen Unterschied, eine Verlagerung vom Tanz zum Schauspiel, sondern auch einen inhaltlichen.

Ich habe einen Mars gezeigt, wie er hätte sein können. Einen, der dieser Gesellschaft in den Arsch tritt, auch wenn er sterben muß. Nicht so ein larmoyanter Typ, der sagt, meine Eltern sind schuld, die Politiker sind schuld, die Nachbarn. Das ist zu wenig. Ich kann verstehen, in was für einer verzweifelten Situation Fritz Zorn war. Zorn ist ja ein Pseudonym, er hieß in Wirklichkeit Fritz Angst. Er hat erst am Totenbett von Muschg erfahren, daß das Buch in Druck geht. Es war dann ein riesiger Erfolg und wird in der Schweiz immer noch gelesen. Ich habe nun einen kraftvollen Kämpfer als Mars auf die Bühne gestellt, der schon krebskrank ist, aber hingeht und die Gesellschaft anrempelt. Den Schweizern ist es eiskalt den Rücken 'runtergelaufen, so schlimm hatten sie sich das nicht vorgestellt.

In Basel hat sich ja gerade einiges am Theater geändert.

Ja, die wollen jetzt ein Theater, das keine Wellen schlägt. 30 Prozent müssen sie einsparen, und der Intendant Baumbauer ist weggegangen. Statt dessen haben sie sich einen Finanzintendanten, den Zörner, geholt, der sich den Kopf der Verwaltung zerbricht.

Im Ulm ist gerade Bernd Wilms wegen der Kürzungen gegangen.

In Freiburg kommen die Kürzungen jetzt, Mannheim ist schon weg, und in Heidelberg wird es noch kommen, die Theater der DDR sind stark betroffen. Natürlich wird der Tanz als schwächstes Glied immer am meisten gedrückt. Inzwischen stellt sich mir die Frage, ob es richtig ist, daß Intendanten ihre Verträge zurückgeben, weil sie nicht unter diesen Bedingungen arbeiten wollen. Die Politiker haben doch schon drei andere in der Tasche, die bereit sind, das mitzumachen, und so kann es ihnen nur recht sein, wenn die Intendanten von laufenden Verträgen zurücktreten. Ich habe solche Rücktritte immer für richtig gehalten, aber das kann nicht die Lösung sein, daß bald überall solche Finanzintendanten das Sagen haben. Vielleicht sollte noch mehr gekämpft und auch trotz Kürzungen weiter gearbeitet werden.

Sind nicht, angesichts der Finanzierungsprobleme, die Gehälter für die oberen Etagen viel zu hoch? Verdienen Sie zuviel Geld?

Ich habe kein Geld. Das einzige, was ich habe, ist ein Wohnmobil und neuerdings ein Trabbi. Wissen Sie, daß ich bis vor drei Jahren 5.200 Mark verdient habe? Und auch von meiner Bremer Gage könnte ich nicht leben, wenn ich nicht gastieren würde. Ich verdiene nicht schlecht, aber ich muß auch 54 Prozent Steuern bezahlen.

Aber ist das Gehaltsgefälle nicht zu stark?

Der Heyme, der das Theater in Bremen in einem Jahr zugrunde gerichtet hat, bekommt 360.000 Mark Gage jährlich, ist dazu noch Festspieldirektor und Professor an der Folkwangschule; da frage ich mich auch, wie das mit denen wohl ist, die auf der Bühne stehen. Die Relationen stimmen überhaupt nicht mehr. In meiner Gruppe gibt es seit der Gründung für alle den gleichen Lohn. Ich selbst stand bis vor einigen Jahren nur ein wenig darüber – aber ich habe viel mehr gearbeitet. Aber das kann ich nicht mehr, auch weil ich Kinder habe.

Frank Castorf möchte Ihre Kompanie zu Beginn der Spielzeit 1994/95 an sein Haus holen. Der Kultursenator Roloff-Mommin will Sie auch, aber noch immer ist nicht geklärt, ob die 4,5 Millionen, die das wahrscheinlich kosten wird, zur Verfügung stehen.

Ich sehe im Moment dafür kaum Chancen. Castorf und ich sind uns einig, und wir passen auch zusammen. Mommin hat zugestimmt, nur hört man jetzt nichts mehr. Ich weiß nicht, ob die Politiker wirklich die Dringlichkeit einer Entscheidung sehen. Man müßte es ja spätestens im Juni erfahren.

Sie haben auch Angebote von anderen Städten. Werden Sie in Bremen bleiben oder anderswohin gehen, wenn es mit Berlin nicht klappen sollte?

Das Theater in Bremen ist durch Heyme kaputt und wird sich so schnell nicht erholen. Ich werde dann ein anderes Angebot annehmen. Mein Vertrag in Bremen läuft über fünf Jahre und verlängert sich automatisch, wenn ich ihn nicht im September kündige. Wenn ich in eine andere Stadt gehen sollte, wird das wahrscheinlich ein Jahr länger dauern, und ich werde noch zwei Jahre in Bremen bleiben.

Sie werden in der kommenden Spielzeit als Gast das Schauspiel „Rosa Luxemburg“ (Buch: George Tabori) an der Volksbühne inszenieren. War das nicht ursprünglich als Tanzstück geplant?

Nein. Irgendwelche Journalisten haben gesagt: Kresnik – „Rosa Luxemburg“-Tanz – aus. Aber das war nicht geplant, es sollte immer, wie in Basel, ein Schauspiel werden. Es wird eine ältere Tänzerin, Susane Ibanez, die alte Rosa Luxemburg spielen, eine Figur, die nicht spricht. Es werden vielleicht fünf bis sechs Tänzer hinzukommen. Ich suche aber alte, ungefähr sechzigjährige Tänzer – keine jungen. Das wird nicht Tanz im herkömmlichen Sinn.

Sie haben zwischen Ihren Tanzstücken immer wieder Schauspiele oder Opern inszeniert. Jetzt machen Sie „Mars“ und „Rosa Luxemburg“ hintereinander. Wenden Sie sich, wie Ende der 70er Jahre nach Ihrem ersten Weggang aus Bremen, jetzt dem Schauspiel zu?

Das ist Zufall. Für den Entschluß, nach Basel zu gehen, um dieses Stück zu inszenieren, habe ich fast vier Jahre gebraucht. Ich wollte nicht nach Basel, ich bin kein Liebhaber der Schweiz und habe mich schließlich dann doch dazu entschieden. Bei Castorf habe ich sofort zugesagt.

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