: In den Krankenhäusern ändert sich nichts
■ Gesundheitssenatorin zu § 218: „Alles tun, daß sich die Bremer Praxis nicht verschlechtert“
taz: Was wird sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts an der Abtreibungspraxis städtischer Krankenhäuser ändern?
Irmgard Gaertner, Senatorin für Jugend, Soziales und Gesundheit: In den kommunalen Krankenhäusern in Bremen wird sich nichts ändern. Zu dieser Auffassung sind unsere Rechtsexperten nach eingehender Prüfung gelangt, sie haben dies auch gut und überzeugend begründet.
Das ist überraschend.
Ja: Die Befürchtung, daß jetzt die vielen Fälle „rechtswidriger Abbrüche“ Ärzte oder gar Krankenhäuser und Krankenhausträger veranlassen könnte, zu sagen: „Das machen wir unter diesen Bedingungen nicht mehr“, ist nicht begründet. Die Juristen sagen, daß auch bisher ein Schwangerschaftsabbruch nicht gerechtfertigt im rechtstechnischen Sinne war — insofern hat sich an der Rechtslage und der rechtlichen Einschätzung der Situation nichts geändert.
Im Klartext: Niedergelassene Ärzte, Krankenhausärzte und Krankenhäuser, die aus ihrer Verantwortung heraus bisher auf der bisherigen Rechtsgrundlage Abbrüche vorgenommen haben, werden das nach allem, was wir zur Zeit wissen, auch in Zukunft tun bzw. nicht tun. Wir werden schon bald die Ärzte, Frauenärzte, die Ärztekammer und auch die Kasse einladen, um die besonders prekäre Frage der Finanzierung noch einmal abzuklären.
Aber nun ist doch entschieden worden, daß Abbrüche, wenn sie nicht kriminologisch oder eugenisch begründet sind, rechtswidrig sind. Damit werden die Ärzte, die trotzdem abtreiben, wieder kriminalisiert, ihre Mo
ral beeinflußt.
Der Bundesgesetzgeber muß nun erst einmal reagieren. Ich gehe derzeit davon aus, daß sich im Verhältnis des Arztes zur Patientin nichts verändern wird. Wenn Ärzte Abbrüche vornehmen und die Beratung, die nicht zu unrecht als Zwangsberatung bezeichnet wird, stattgefunden hat, verhalten sie sich nicht rechtswidrig.
Für Sie bedeutet demnach die Aussage, es wird nicht strafverfolgt „es ist nicht rechtswidrig?
Wenn die Patientin ihre Entscheidung getroffen hat, dann kann der Arzt aus ethischen Gründen ablehnen. Im Sinne der Patienten darf er aber die Abtreibung vornehmen ohne sich strafbar zu machen.
Können die Ärzte an den städtischen Krankenhäusern denn noch beraten?
In alle Feinheiten des Urteils sind wir noch nicht eingestiegen. Aber für die Beratung müssen und sollen besonders qualifizierte und spezialisierte Beratungsstellen vorgehalten werden. Dies wird das Land auch finanzieren müssen. Diese Beratung ist eine Sache. Die Beratung durch den Arzt, in der die gesundheitlichen Fragen im Zusammenhang mit dem gewünschten Abbruch abgeklärt werden, ist eine andere Sache: das eine die medizinische Beratung im engen Sinne, das andere die Beratung durch die Beratungsstelle mit dem ausdrücklichen Ziel, die Frau in die Lage zu versetzen, das Kind zur Welt zu bringen.
Und die wird wie bisher in Pro Familia und ähnlichen Institutionen ablaufen? Oder läßt sich diese zielgerichtete Beratung wie das Gericht sie fordert mit solchen Institutionen nicht vereinbaren?
Ich gehe davon aus, daß jede Beratungsstelle und jeder Träger sich in Schwangerschaftskonflikten auf die neue Lage einstellen muß.
Und wie sieht es für Pro Familia mit Beratung und Abbruch unter einem Dach aus?
Das ist durch die Richter ja ausdrücklich inkriminiert worden. Ich gehe davon aus, daß das Problem von Pro Familia genau an dieser Stelle liegt.
Pro Familia wird Schwierigkeiten haben, sich zu finanzieren?
Ja, solange sie Beratung einerseits und Abbruch andererseits nicht nur unter einem Dach, sondern auch in einer Hand haben.
Wenn diese Institutionen sich also auf Beratung spezialisieren müssen, müssen sie dann auch anders finanziert, staatlich mehr unterstützt werden?
Dies ist einer der Effekte des neuen Gesetzes, daß es jetzt der Staat ist, der diese Beratungsstellen, und zwar alle, nicht nur Pro Familia, wesentlich mitfinanzieren muß. Auch Beratungsstellen, die bisher nicht gefördert wurden, fordern nun die Förderung im Sinne des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes ein. Das wird uns viel Geld kosten.
Die Frau geht also zu einer Beratungsstelle, läßt sich dort zielgerichtet beraten. Dort werden ihr demnach auch Möglichkeiten aufgezeigt, wie sie das Kind, wenn sie es austrägt, großziehen und wie sie diese beiden Leben finanzieren kann. Und mit der Bescheinigung über diese Beratung geht sie zu einem städtischen Krankenhaus...
oder zum niedergelassenen Arzt.
Und den Abbruch muß sie dann selbst bezahlen.
Ja, sofern keine eugenische, kriminologische oder medizinische Indikation vorliegt. Nach Ansicht unserer Juristen wird alles vorher und alles nachher bezahlt. Nur nicht der Abbruch selber.
In diesem Urteil, und das empört mich als Sozialhilfeträger so sehr, wird ja ausdrücklich auf die Sozialhilfe verwiesen. Wenn ein rechtswidriger, wenn auch straffreier Abbruch stattfindet, gibt es keine Finanzierung durch den Sozialversicherungsträger, also die Krankenversicherung. Die staatliche Leistung höherer Ordnung soll aber greifen. Die Richter gehen dabei ausdrücklich auf den § 37a des Bundessozialhilfegesetzes ein. Aber nun handelt es sich ja ausdrücklich um einen rechtswidrigen Abbruch, so daß der Verweis auf § 37a verwirrend erscheint.
Wir gehen davon aus, daß der Gesetzgeber das Bundessozialhilfegesetz an dieser Stelle verändert. Die Leistung nach § 37a hat den großen „Vorteil“, daß es sich um „Hilfe in besonderen Lebenslagen“ handelt. Dies ist günstiger, was die Heranziehung von sonstigen Einkommen und Vermögen betrifft.
Wir werden in Bremen erstens keine Unterhaltspflichtigen in solchen Fällen heranziehen. Wir werden auch nicht auf u.U. vorhandenes Vermögen zurückgreifen und uns hinsichtlich der Einkommensgrenzen an § 79 BSHG orientieren — so daß die unerträgliche Maßgabe, zur Sozialhilfe gehen zu müssen, abgemildert wird.
Wir werden ein Informationsblatt für Frauen, die sich einen Abbruch über die Sozialhilfe finanzieren lassen müssen, herausgeben. Die Frauen müssen, das ist ein zusätzliches Problem, ihre finanzielle Forderung an das Sozialamt vorher anmelden. Es geht nicht, daß sie das Geld irgendwo leihen und anschließend zum Sozialamt kommen. Dies ist eine der Grausamkeiten von Sozialhilferecht.
Kommen die Frauen nun wieder in die Situation, sich — etwa bei den Sachbearbeitern im Sozialamt — erneut einem Mann offenbaren zu müssen? Brauchen die Sozialämter nun spezielle Ansprechpartnerinnen?
Wenn sich die Frau innerhalb der Dreimonatsfrist befindet und eine Beratung nachweist, dann geht es die Sozialarbeiter und Sachberarbeiter überhaupt nichts an, was die Frau bewogen hat. Aber dies ist auch für die Mitarbeiter nicht ganz leicht und wir müssen einiges tun, um die nötige Sensibilität in solch schwierigen Konstellationen zu erreichen.
Bisher konnten Ärzte und Klinik-Beschäftigte aus ethischen Gründen die Mitarbeit an Abbrüchen ablehnen. Wieviele Widerstände gab es bisher?
Es gibt keine großen Widerstände. In Bremen gibt es praktisch eine reine Fristenregelung. Insofern sind die Bremerinnen zu recht aufgeschreckt. Die Politik wird alles unternehmen, um eine Verschlechterung nicht eintreten zu lassen. Interview: Birgitt Rambalski
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