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Verwirrung durch mißverständliche Gedenktafeln

■ In Schöneberg sorgt ein preisgekröntes Denkmalensemble zur Erinnerung an die von den Nazis verfolgten Juden für Aufregung / Polizei schraubte Tafeln wieder ab

Eigentlich sollte am kommenden Freitag am Bayerischen Platz ein ganz besonderes Denkmalensemble der Öffentlichkeit übergeben werden. 80 Metalltafeln, jede im Format 50 mal 70 Zentimeter und aufgehängt an über den ganzen Bezirk verteilten Lichtmasten, sollten die Spaziergänger daran erinnern, daß in diesem Gebiet zwischen 1933 und 1945 über 6.000 Schöneberger Juden entrechtet, deportiert und später ermordet wurden. Jetzt ist ungewiß, ob dieser Termin eingehalten werden kann, denn zu groß ist die Aufregung.

Der Ärger begann schon vergangenen Freitag. Die beiden Künstler Renate Stih und Frieder Schnock, die den vor fünf Jahren ausgelobten Wettbewerb der Senatsbauverwaltung und des Kunstamts Schöneberg mit viel Vorschußlorbeeren gewonnen hatten, begannen die ersten 17 Tafeln aufzuhängen. Provokantes stand darauf zu lesen: „Berufsverbot für jüdische Musiker. 31.3.1935“ oder „Juden dürfen keine Haustiere mehr halten. 15.2.1942“.

Alles Tafeln also, die die Betrachter daran erinnern sollen, daß sie oder ihre Vorfahren Tag für Tag die Ausgrenzung ihrer jüdischen Nachbarn hingenommen haben. Aber die Künstler und mit ihnen die museumspädagogischen Begleiter des Kunstamts Schöneberg unterschätzten die Aufmerksamkeit vieler Bürger. Denn die betrachteten die unverhüllt installierten Tafeln nicht als Mahnung oder Kunst, sondern als antisemitische Propaganda. Einige empörte Bürger benachrichtigten die Jüdische Gemeinde, andere riefen direkt nach der Polizei. Sogar der Staatsschutz schaltete sich ein. Und weil die Innenverwaltung von nichts wußte und ihr Plazet gab, konfiszierte die Polizei am Freitag die 17 Tafeln. „Wir dachten erst, das wäre eine Aktion der Glatzen“, sagte der Pressesprecher der Innenverwaltung, „bei solchen heiklen Sachen muß doch die Polizei im Vorfeld benachrichtigt werden.“

„Die Schilder sollen provozieren, dies ist das Konzept“, sagten gestern übereinstimmend die Schöneberger Kunstamtsleiterin Katherina Kaiser und der Referent des Bezirksbürgermeisters, Frank Dittmer. Die Mißverständnisse seien nur deshalb entstanden, weil die Tafeln unverhüllt und zu Beginn der Montagearbeiten im großen Abstand voneinander standen. Dadurch sei der Gesamtzusammenhang verlorengegangen, der bei Beendigung der Installationsarbeiten aber hergestellt sein wird. „Eine echte Panne“, kommentierte der zuständige Referent in der Senatsbauverwaltung, Ralf Schlichting. Ob aber die Einweihung des Gesamtgedenkwerkes am kommenden Freitag überhaupt stattfinden wird, ist noch unklar. Bausenator Nagel will sich erst heute entscheiden.

Für eine Enthüllung mit anschließender Diskussion sprachen sich gestern in einer Schöneberger Krisensitzung die Jüdische Gemeinde und der Bezirksbürgermeister Uwe Saager (SPD) aus. Unabdingbare Voraussetzung sei allerdings, sagte der Generalsekretär der Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, daß das Ausstellungskonzept etwas korrigiert werde. „Wir müssen ernst nehmen, daß die Bürger die Tafeln nicht auf Anhieb verstehen.“ Er schlägt deshalb vor, daß unter jeder einzelnen Mahntafel mit den staatlichen Ausgrenzungsbeschlüssen der Hinweis stehe, daß diese im Gedenken an die verfolgten Juden des Viertels aufgestellt worden sind. In einigen Monaten sollte neu diskutiert werden, ob die Bürger die Gesamtkonzeption verstanden haben. Ein Vorschlag, den das Kunstamt gerne akzeptiert. Anita Kugler

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