: Das Hohe Pop-Mittelalter auf Originalinstrumenten Von Mathias Bröckers
Bei den Freunden der alten Musik erfreuen sich Konzerte und Platteneinspielungen auf Originalinstrumenten, die die Musik einer Epoche möglichst authentisch erklingen lassen, schon länger großer Beliebtheit. Seit nun auch die Popmusik, deren „Epochen“ bekanntlich in Hochgeschwindigkeit verlaufen, auf Altertum und Klassik zurückblicken kann, hat auch hier der Trend zum Originalsound Einzug gehalten.
Mag es vor zehn Jahren für eine Rockband noch angesagt gewesen sein, möglichst neuwellig, eigen und unverwechselbar zu klingen, scheinen die Top of the Pops heutzutage auf nichts so scharf wie auf das akustische Original-Ambiente des Hohen Pop-Mittelalters, das heißt der späten 60er, frühen 70er Jahre. Gerätschaften und Instrumente aus dieser Zeit stehen bei den Musikalienhändlern hoch im Kurs – eine Fender-„Telecaster“-Gitarre kostet neu weniger als die Hälfte eines leidlich erhaltenen „Originals“ aus den 60ern – und die Spitzenpreise für die legendären Röhren-Verstärker von Vox, Marshall oder Orange haben einige Hersteller veranlaßt, neben der neuzeitlichen Transistor-High-Tech jetzt auch wieder mittelalterliche Röhren-Amps zu produzieren. Wer heutzutage was auf sich hält im Rock-Biz, röhrt auf klassischer Röhre und mischt seine Platten mit Stereoeffekten ab, die scheinbar dem steinzeitlichen Vier-Kanal-Mixer der Abbey-Road-Studios entsprungen sind.
Einer der hervorragenden Vertreter der alten Musik auf Originalgerätschaften ist der junge New Yorker Lenny Kravitz, dem dumme Kritiker wegen seines Faibles für den Sound der Lennons, Hendrix' und Co. mangelnde Originalität und Eklektizismus vorwerfen. In Wahrheit tut Kravitz nichts anderes, als mit Marshall- Turm, Telecaster und Wah-Wah die Klangfarbe des Pop-Mittelalters neu anzumischen, um daraus eine durchaus eigenständige Musik zu machen. Daß sie mal klingt wie eine Passage aus „Voodoo Child“, um im nächsten Moment scheinbar in „I'm the walrus“ umzukippen, daß es mal „unplugged“ tönt wie weiland Dylan oder Neil Young, um dann in kreischenden Hardrock à la Led Zeppelin überzugehen, daß man sich mal in „You really got me“ von den Kinks zurückversetzt fühlt und dann in den „Magic Bus“ der Who – das alles tut der Originalität wenig Abbruch. Im Gegenteil: Durch die neue Mixtur wird den alten Tönen frisches Leben eingehaucht – und die Fans des Neo-Hippies Kravitz sind keineswegs nur Althippies wie unsereiner.
Ist es aber nicht erstaunlich, daß die Kids heute dieser Musik dieselbe frenetische Begeisterung entgegenbringen wie damals ihre Eltern den Originalinterpreten? Genau betrachtet, war ja auch schon an diesen „Originalinterpreten“ wenig Original. Musiker wie die Stones etwa hatten auch nichts anderes im Sinn, als so zu klingen wie eine Mischung aus Muddy Waters, Chuck Berry und B. B. King. Und die Liebhaber dieser alten Musik mögen sich auch damals gewundert haben, warum den Kids nichts Besseres einfällt, als auf diesen zusammengeklaubten Neo-Rhythm'n Blues abzufahren. Mick Jagger, demnächst 50, hat vor 15 Jahren die definitive Antwort auf derlei Fragen gegeben – „It's only Rock'n'Roll – but I like it.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen