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Warum aufregen?

„Tagesthemen“-Kommentare zu Solingen von Bednarz und Engert im Vergleich

Klaus Bednarz (WDR) am 1.Juni 1993

Solingen. Fünf Menschen sind verbrannt – und nun fließen sie wieder: die Tränen der Trauer, des Schmerzes und des Zorns.

Und die Krokodolstränen jener, die nicht unerheblich dazu beigetragen haben, daß in unserem Land eine Stimmung entstehen konnte, die offenbar immer wieder rechtsradikalen Wirrköpfen und Verbrechern das Gefühl vermittelt, jede Tat gegen Ausländer sei eine gute Tat; eine Tat im Interesse Deutschlands und der Deutschen.

Nicht nur nach jenen gilt es zu suchen, die in Solingen die Brandsätze warfen, sondern auch nach jenen politischen und publizistischen Biedermännern, die seit Monaten und Jahren die sogenannte „Ausländerdebatte“ angeheizt haben. Im publizistischen Bereich sind es vor allem Hetzblätter der Springer-Presse, aber auch die FAZ und der Spiegel, die zur Panikmache gegen Ausländer beigetragen haben.

Und auf seiten der Politiker seien nur drei Namen – stellvertretend für viele – genannt: Edmund Stoiber von der CSU, der einst im schönsten Nazi-Deutsch von der Gefahr einer „Durchrassung“ und „Durchmischung“ der deutschen Gesellschaft sprach, sowie Volker Rühe von der CDU und Klaus Wedemeier von der SPD, die als eine der ersten das Ausländer-Thema zum Wahlkampf-Thema machten – in der Hoffnung, rechte Wählerstimmen zu gewinnen.

Mit der De-facto-Abschaffung des Asylrechts in der vergangenen Woche müssen sich all jene geradezu bestätigt und ermuntert fühlen, in deren Köpfen nichts anderes spukt als die Parole „Ausländer raus!“. Doch nicht die „Ausländer“ bedrohen unseren inneren Frieden, sondern diejenigen, die das Ausländerthema politisch mißbrauchen. Die Flammen von Solingen und das, was sich zur Stunde dort auf den Straßen abspielt, beleuchten in gespenstischer Weise unsere gescheiterte Ausländer- und Asyl-Politik. Gegen Fremdenhaß und Fremdenfeinlichkeit helfen nicht Abschottung und immer neue Mauern, sondern Rechtssicherheit, Einwanderungs- und Integrationsgesetze.

Doch genau darum hat sich die Politik bislang gedrückt. Mit einem Gesetz über „Doppelte Staatsbürgerschaft“ könnte jetzt wenigstens ein Signal an die Adresse unserer „Ausländer“ gesetzt werden. Auf die Krokodilstränen können sie allemal verzichten.

Jürgen Engert (SFB) am 4. Juni 1993

Gott sei Dank, nun wissen wir's: Sie hatten einen in der Krone, angetrunken waren sie, rausgeworfen aus der Kneipe. Da schlägt man schon mal über die Stränge – es muß aber doch nicht gleich in Mordbrennerei ausarten.

Gott sei Dank, nun wissen wir's: Rechtsextrem sind sie, die mutmaßlichen Täter von Solingen. Und vermutlich machen sie all das, was wir anderen nicht oder nicht mehr machen: „Sieg Heil“ brüllen, Hakenkreuze malen, Führers Geburtstag feiern, all das, was wir anderen nicht sehen, weil wir es nicht sehen wollen.

Gott sei Dank: Mit denen, mit solchen haben wir nichts gemein.

So spricht heute abend der deutsche Michel. Und danach zieht er sich die Schlafmütze über die Ohren und läßt sich zufrieden auf die Matratze sinken. Gute Nacht Deutschland, der Michel hat seine Schuldigkeit getan, nach guter deutscher Tradition: Er hat die Nase gerümpft, ohne sie zu putzen. Den Rest erledigen die Ämter.

Warum auch aufregen? Rechtsextreme sind doch eine Minderheit, wenig formiert, ohne Gesinnung, von Ideologie ganz zu schweigen.

Macht das die Sache besser? Nein, im Gegenteil. Denn was bedeutet der Hilfsbegriff „rechtsextrem“? Doch nichts anderes als ein Verhalten, das versucht, Selbstbewußtsein durch Gewalt zu gewinnen. Ein Skinhead, der zuschlägt, ist ein Schläger, und die Solinger Mordbrenner sind Verbrecher. Indem wir aber diesen Kriminellen das Etikett „rechtsextrem“ aufkleben, stilisieren wir sie zu Repräsentanten einer politischen Bewegung, und – was noch gefährlicher ist – wir mogeln uns damit um die Erkenntnis herum, daß diese Leute zu dieser deutschen Gesellschaft gehören, einer Gesellschaft, die in den Zeiten fetter Zuwachsraten rücksichtsloses Verhalten mit Selbstverwirklichung gleichgesetzt hat.

Rücksichtslosigkeit und Gewalt aber sind Kehrseiten ein und derselben Medaille. Einer alten Frau oder einer Schwangeren in der Bahn keinen Platz anzubieten, die Ellbogen rauszustrecken und sie dazu noch mit Rasierklingen zu versehen, das hat viel mehr mit Solingen zu tun, als wir, die deutschen Michel, wahrhaben wollen.

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