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Die latente Angst vor einer Rückkehr der Rechten, die aus historischen Gründen keinen guten Ruf genießt, und die Sehnsucht nach Stabilität in schwierigen Zeiten haben Spaniens Sozialisten erneut einen Wahlsieg beschert. Dabei hat auch das persönliche Ansehen von Felipe Gonzalez die PSOE vor einer Niederlage bewahrt. Aus Madrid Antje Bauer

Gonzalez versteht die Botschaft

„Jetzt geht es darum, den Willen der spanischen Bürger zu respektieren“, rief Jose Maria Aznar vom Balkon seiner Parteizentrale in Madrid. Mit Buhrufen quittierte das seine Anhängerschaft, die sich am frühen Sonntag abend auf der Straße versammelt hatte in der Hoffnung, einen Wahlsieg ihrer Partei feiern zu können. Die elegant gekleideten Damen und ihre pomadierten Söhne mußten dort jedoch eine tiefe Enttäuschung hinnehmen: Zum ersten Mal seit dem Ende der Franco-Diktatur 1975 hatte die rechte „Volkspartei“, die „Partido Popular“ (PP), begründete Hoffnungen hegen können, an die Macht zu kommen; alle Meinungsumfragen der letzten Wochen hatten einen leichten Vorsprung des PP prognostiziert, doch nun war es wieder nichts. Zum vierten Mal hintereinander hat die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) am vergangenen Wochenende die Parlamentswahlen gewonnen – wenngleich es diesmal bis spät am Abend eine Zitterpartie war.

Die ersten Hochrechnungen, die um acht Uhr abends ausgestrahlt wurden, sprachen von einem Patt zwischen der PSOE und der rechten PP, manche sagten sogar einen leichten Vorsprung für die Partei Aznars voraus. Erst zwei Stunden später gab Innenminister Jose Corcuera einen Vorsprung der Sozialisten bekannt. Die Sozialisten unter ihrem Spitzenkandidaten Felipe Gonzalez erhielten 38,68 Prozent der Stimmen (159 Sitze) und verloren damit nur knapp ein Prozent – erheblich weniger, als allgemein erwartet. Aznars „Volkspartei“ legte wie erwartet deutlich zu: Sie erhielt 34,82 Prozent der Stimmen (141 Sitze), neun Prozent mehr als bei den Parlamentswahlen von 1989.

Die Linksunion Izquierda Unida (IU), deren Generalsekretär und Zugpferd Julio Anguita sich seit zwei Wochen im Krankenhaus von einem Herzinfarkt erholt, bekräftigte ihre Position als drittstärkste Partei des Landes, legte jedoch, entgegen den Erwartungen, kaum zu (9,57 Prozent, 18 Mandate). Cristina Almeida, prominentes Mitglied des kritischen Flügels der IU, die diesmal nicht auf den Wahllisten stand, machte noch am selben Abend die starre Haltung der Parteimehrheit unter Generalsekretär Julio Anguita für das magere Ergebnis verantwortlich. Anguita hatte sich im Vorfeld de facto gegen eine Regierungsbeteiligung mit der PSOE ausgesprochen.

Völlig von der Bildfläche verschwand die Zentrumspartei CDS von Ex-Ministerpräsident Adolfo Suarez, die bei den letzten Wahlen noch fast acht Prozent erhalten hatte, bei dieser Wahl jedoch nur noch 1,76 Prozent bekam und alle 14 Sitze verlor. Führungsmitglieder des CDS kündigten nach dem Bekanntwerden des Wahldebakels für die nächste Woche einen Parteitag an, auf dem über die Zukunft dieser Gruppe beratschlagt werden soll.

Die katalanischen Nationalisten Convergencia i Unio (CiU) verfehlten mit 4,95 Prozent (17 Sitze) ihr Ziel, in Katalonien die Sozialisten zu überrunden und verloren einen Sitz im Parlament, die baskischen Nationalisten PNV, zusammen mit CiU mögliche Mehrheitsbeschaffer der künftigen Regierung, blieben gleich (1,24 Prozent, 5 Sitze).

Der ETA-nahen Herri Batasuna haben offensichtlich die Erfolge der Regierung gegen die bewaffnete baskische Befreiungsorganisation geschadet: Sie verlor zwei von vier Sitzen. „Los Verdes“, die Grünen, zu denen sich zahlreiche Gruppierungen zusammengeschlossen hatten, ziehen wieder einmal nicht ins Parlament ein. In einem Land, in dem weiterhin sehr stark in Rechts-Links-Gegensätzen gedacht wird, hatte ihr an die französischen Grünen angelehnter Diskurs über die Vorherrschaft ökologischer Notwendigkeiten gegenüber sozialer Politik erneut keinen Erfolg.

Bei den Wahlen der zweiten Kammer, des Senats, die eine Art Ländervertretung darstellt und deren Auszählung länger dauert, bestätigt sich eine Vorherrschaft der Sozialisten. Die Wahlbeteiligung lag mit 77,28 Prozent sehr hoch, obwohl administrative Fehler den Wahlgang für viele Spanier zu einem Hürdenlauf machten. In zahlreichen Orten Spaniens protestierten Bürgerinnen und Bürger, weil sie nicht in den Wählerlisten eingetragen waren; sie warteten stundenlang, um Wahlpapiere zu bekommen. Der unklare Ausgang der Wahlen war es, der viele wahlmüde Spanier dazu gebracht hat, sich doch zu einem Urnengang zu entschließen – trotz heftigen Regens und trotz des Tennismatches von Roland Garros.

Der unerwartete erneute Wahlsieg der Sozialisten ist vermutlich auf eine massive Anwendung des „voto util“, der nützlichen Stimme von Bürgern zurückzuführen, die sich bei den vergangenen Parlamentswahlen enthalten oder linke oder nationalistische Optionen gewählt hatten; sie wählten diesmal die PSOE, einzig und allein um eine rechte Regierung zu verhindern. Die Eingliederung von Unabhängigen, wie etwa den Untersuchungsrichter Baltasar Garzon, auf prominente Listenplätze der PSOE, mag kritischen Wählern die Entscheidung erleichtert haben. Die neuen Wähler der „Volkspartei“ kommen großteils aus den Reihen der ausgeschiedenen Zentrumspartei CDS – was bei der PP unverhohlene Befriedigung auslöste: Der Imagewechsel von einer rechts-frankistischen zu einer Zentrumspartei hat zumindest teilweise geklappt.

Um Mitternacht tauchte ein strahlender Felipe Gonzalez im Madrider Luxushotel Palace auf, wo seine Partei das Wahlergebnis feierte. In ihrem Enthusiasmus zogen Mitglieder der Partei Vergleiche mit dem großen Wahlerfolg 1982, der ebenso überraschend kam wie der jetzige. Er habe die Botschaft der Wähler verstanden, versicherte Gonzalez, nun sei ein „Wandel im Wandel“ nötig, und ein intensiver Dialog mit den sozialen Gruppen und politischen Parteien. Er versprach mehr Dialog, weniger „sozialistische Dampfwalze“ und ein hartes Durchgreifen gegen illegale Parteienfinanzierung und Korruption. Außerdem versicherte Gonzalez, die neue Regierung werde mehr auf die Vorschläge der Opposition eingehen und neue Impulse für die zuletzt erlahmte Reformpolitik setzen, vor allem aber die hohe Arbeitslosigkeit bekämpfen.

Im Hauptquartier der PP herrschte hingegen herbe Enttäuschung, die den stellvertretenden Parteivorsitzenden Javier Arenas vor laufenden Kameras zu heftigen Anwürfen gegen Innenminister Corcuera verleitete. Die regierungsnahe Tageszeitung El Pais kommentierte dies am Montag wie folgt: „Die ersten Reaktionen einiger Führungsmitglieder der PP ließen befürchten, daß ihre Wut, die Wut eines schlechten Verlierers, gefährliche Ausmaße annehmen könnte.“ Da lebte mit einem Mal wieder die Angst vor der alten Rechten auf. Der Parteivorsitzende Jose Maria Aznar hatte solche Ängste jedoch bereits in seiner Ansprache nach Mitternacht besänftigt, in der er das Wahlergebnis anerkannte und seine Anhänger aufforderte, „für Spanien“ weiterzuarbeiten.

Ab Ende dieses Monats wird sich der König um die Ernennung eines Regierungschefs kümmern. Daß dieser erneut Felipe Gonzalez heißen wird, steht außer Frage. Unklar ist jedoch, ob die Sozialisten wie bislang alleine regieren und auf Pakte mit den katalanischen und baskischen Nationalisten zurückgreifen werden, oder ob sie eine Koalition eingehen werden. Immerhin scheint sich abzuzeichnen, daß der unbeliebte Wirtschaftsminister Carlos Solchaga und sein Kollege vom Innenministerium, Jose Luis Corcuera, dem neuen Kabinett nicht angehören werden.

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