: Hallo, ich bin nicht da Von Thomas Pampuch
Irgendwann im Leben kommt für fast alle von uns einmal der Punkt des Übergangs zur Ubiquität, das heißt zur (von Luther allein für Jesus behaupteten) Allgegenwart. Jesus stehen dabei gewisse, noch nicht restlos entschlüsselte himmlische Hilfsmittel zur Verfügung, unsereiner bedient sich jenes profanen schwarzen Kästchens, das inzwischen auch in den rückständigsten Wohngemeinschaften das handbetriebene Sekretariatswesen („Du, der Winfried arbeitet gerade im Garten“) abzulösen beginnt.
Mein erster Anrufbeantworter heißt sinnigerweise Cobra (übernehmen Sie). Er ist ein amerikanisches Modell, postseits zwar nicht zugelassen, aber – wie mir versichert wurde – auch nicht strafbar, juristisch also der Abtreibung vergleichbar. Und fast wie eine Abtreibung stürzt mich Cobra in tiefe innere Konflikte. Identitätsprobleme schon beim Aufzeichnen des Greetings: Kann man ernsthaft einen Satz wie „Hallo, ich bin nicht da“ sagen?
Nein, da sträubt sich die Logik. Ebenso bei „Hallo, ich bin im Moment nicht erreichbar“, wo doch der Witz gerade darin besteht, daß ich erreichbar bin (und sein will). Längeres und logisch abgesichertes Gequatsche nach dem Muster „Sie hören den Anrufbeantworter von ...“, ging mir als Anrufer schon immer auf den Geist. Wie ich überhaupt diese Kistchen auch weiterhin für eine Geißel der Menschheit halte. Nun aber mute ich anderen genau das zu, was ich immer gehaßt habe: nach dem Piepston (Pfeifton? Piepsen? Gepiepe?) herumzustottern und befürchten zu müssen, das Ganze könnte auf ewig gespeichert bleiben, jederzeit gegen einen verwendbar, gerichtsverwertbar, oder zu allfälligem höhnischen Gaudium reproduzierbar.
Vollends irrwitzig ist das noch kleinere schwarze Kästchen, mit dem ich fern von zu Hause meine Cobra abhören, neu besprechen, löschen, ja sogar an- und abstellen kann. In den letzten Tagen habe ich von befreundeten Telephonen aus sicher dreißigmal bei mir angerufen und autistisch alle Funktionen durchprobiert. Funktioniert fast alles. Wenn ich wollte, könnte ich nun bei jedem Ortswechsel meinem Apparat und damit allen Anrufern sagen, wo ich gerade bin. Die absolute Erreichbarkeit. Will ich das? Bin ich so wichtig? Werde ich so gebraucht? Was, wenn keine Sau anruft? Wie steh' ich dann da, vor meiner Cobra? Ich habe den Apparat übrigens von meinem alten Onkel Bruno geerbt, der nun leider doch gestorben ist und insofern das Ubiquitätsproblem (hoffentlich) bald eleganter lösen kann als ich mit meiner Cobra. So ganz scheint es bei ihm aber noch nicht zu klappen.
Auf der Kassette habe ich eine Botschaft aus dem Jenseits gefunden. Ein geheimnisvolles Tuten und Rauschen und dann Brunos liebe alte Stimme, schwach, aber deutlich: „Hallo? (Pfeifen) Mensch, det funktioniert einfach nich.“ Eine Warnung? Eine Ermahnung, die Ubiquität denen zu überlassen, die dazu berufen sind? Oder O-Ton eines alten Sozialisten im Fegefeuer? Ach, Bruno, du brauchst doch keinen Anrufbeantworter mehr zur Kommunikation mit uns hier unten. Mach's wie Jesus oder wie Buddha, erleuchte uns feinstofflich. Hallo, ich bin da!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen