Mercedes baut Motoren in Stuttgart

■ Standortentscheidung durch Erpressung des Betriebsrats?

Berlin (taz) – Seit Jahr und Tag gilt Mercedes als Inbegriff des made in Germany. Doch seit der Stuttgarter Nobelkarossenhersteller in die Krise schlitterte, ist es mit dem Industriestandort Deutschland nicht mehr weit her. Daß der urschwäbische Autokonzern sein neues Motorenwerk jetzt ausgerechnet im angestammten Stuttgart-Untertürkheim bauen will, hat dennoch wenig mit Heimatliebe zu tun.

Der Mercedes-Vorstand machte die Entscheidung für den Traditionsstandort, wo ab 1995 rund 1.000 Arbeiter die neuen Sechs- und Achtzylindermotoren gebaut werden sollen, kurzerhand von einer neuen Betriebsvereinbarungen abhängig. Und die hat es in sich: Die Beschäftigten müssen zähneknirschend eine Reihe von Nachteilen, wie regelmäßige Dreischicht- und Nachtarbeit, ein neues Entlohnungssystem, das Gruppen- und Einzelprämien vorsieht und die Abschaffung der taktgebundenenen Erhohlzeiten von fünf Minuten pro Stunde („Steinkühler- Pause“), hinnehmen. Und das Werk besitzt noch einen weiteren Vorteil für die Geschäftsleitung: Im Verhältnis zur jetzigen Motorenproduktion kommt das neue Werk nach deren Zielvorgaben mit der Hälfte der Personalkosten aus.

Nicht gerade glücklich stimmte der Betriebsrat am Dienstag mit 39 zu 10 Stimmen dem neuen Regelwerk zu. Die Minderheit sieht durch die Betriebsvereinbarung nicht nur die Mitbestimmungsrechte gefährdet, sondern auch tarifliche Regelungen ausgehebelt. Die Mehrheit akzeptierte den hohen Preis, weil es ihrer Ansicht nach noch schlimmer hätte kommen können. Ursprünglich wollte Mercedes-Benz seine neue Motoren-Generation im Elsaß bauen. Noch in der vergangenen Woche wetterte Gesamtbetriebsratsvorsitzender Karl Feuerstein, der Mercedes-Vorstand wolle die Belegschaft mit der Standortfrage erpressen. Sollten die neuen Motoren im Ausland gebaut werden, so Feuerstein, käme dies einer „Kriegserklärung“ gleich.

„Wer auf dem Weltmarkt mitspielen will“, hatte der kürzlich ausgeschiedene Vorstandschef Werner Niefer am Ende der fetten Jahre verkündet, „kann nicht nur in Deutschland produzieren.“ Geländewagen aus North Carolina, Luxusschlitten aus Mexiko, Transporter aus Korea - die Globalisierung der Produktion wird massiv vorangegtrieben. Mal ist es die Marktnähe, mal der abhanden gekommene Arbeitswille und die verlorengegangene Identifikation mit dem Unternehmen, mit denen sich die Produktionsverlagerungen begründen lassen. Was die Mercedes-Männer jedoch für sich behalten: Mit dem Standortpoker lassen sich die Trümpfe der Geschäftsleitung gegenüber den Belegschaftsvertretungen viel besser ausspielen. Erwin Single