piwik no script img

Reporter wurde zum "Oberrabbi" befördert

■ Hilfestellung: Wie Hamburger Polizisten ihren Kollegen vor einer Verurteilung wegen Körperverletzung retten wollen

retten wollen

Es kommt selten vor, aber in diesem Fall machte die Hamburger Justiz kurzen Prozeß: Weil der Polizist Gerd Schröder den Journalisten Oliver Neß im Verlauf einer Protestaktion vorm Hertie-Quarree in Ottensen einen Schlag ins Gesicht versetzte, wurde der Beamte wegen Körperverletzung im Amt per Strafbefehl zu einer Geldstrafe von 1200 Mark verurteilt. Doch die Innenbehörde versucht nun, das Urteil durch einen aufwendigen Prozeß und überraschende Aussagen zu kippen und aus dem Opfer einen Rädelsführer zu machen.

Zur Erinnerung: Am 29. April 1992 versammelten sich in Ottensen abermals orthodoxe Juden, um durch eine Blockade den Baubeginn des Quarrees auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof an der Großen Rainstraße zu verhindern. Der Ex- taz-Mitarbeiter und jetzige Reporter der „Medienproduktion Hamburg“, Oliver Neß, hatte an diesem Tag den Auftrag, für den schweizerischen Rundfunk eine Reportage über die Ereignisse zu machen. Als Oliver Neß jedoch das rüde Polizeivorgehen beobachtete, wurde er plötzlich abgedrängt und bekam einen Schlag ins Gesicht.

Da es sich bei diesem Vorfall um keinen Einzelfall handelte, schickte die Medienproduktion einen Beschwerdebrief an den damaligen Polizeipräsidenten Dirk Reimers. Der leitete dann tatsächlich ein Ermittlungsverfahren gegen den 31jährigen Polizeihauptkommissar ein. Der Polizeidienststelle „PS 3“ zur Ermittlung von Beamtendelikten gelang es nur schwer, Augenzeugen ausfindig zu machen. Angeblich hatten die eingesetzten Polizisten die Schläge ihres Kollegen Schröder nicht gesehen. Dennoch erließ die Staatsanwaltschaft — gestützt auf die Angaben von Journalisten — einen Strafbefehl.

Schröder legte dagegen Einspruch ein. So weit, so gut. Doch nun passierte etwas Seltsames: Plötzlich konnte Innenbehördenanwalt Michael Bertling zehn Beamte präsentieren, die den Vorfall vor dem Quarree gesehen haben — anders allerdings, als er sich zugetragen hat. Denn nun wurde Reporter zum „Oberrabbi“: Oliver Neß habe den Judenprotest als „Rädelsführer“ geleitet, die Lastwagen gestoppt und durch sein Verhalten die Sitzblockade erst ermöglicht.

Das Altonaer Amtsgericht wird nun am kommenden Montag (9 Uhr) den Versuch unternehmen, den Fall aufzuklären. Das Verhalten der Innenbehörde ist allerdings für mehrere Organisationen schon jetzt Grund genug, Alarm zu schlagen. Peter Schaar, Vorständler der Humanistischen Union: „Von diesem Vorfall ist die Pressefreiheit ganz massiv betroffen.“ Nach Auffassung Schaars sei eine Entwicklung zu verzeichnen, daß die Berichterstattung der Medien „praktisch immer mehr eingeschänkt“ und zensiert werde, indem man die „Berichterstatter nicht mehr vor Ort läßt oder nur eine eingeschränkte Zahl an Hofberichterstattern duldet“. Schaar: „Das ist mit der freien Presse überhaupt nicht zu vereinbaren.“ GALier Pe-

1ter Zamory: „Wenn der Senat es ernst meint, schwarze Schafe in der Polizei ausfindig zu machen, hätte er hier ganz konsequent seine Dienst- und Fachaufsicht ausüben müssen statt die betroffenen Beamten zu decken.“

Die Deutsche Journalisten Union in der IG Medien verweist darauf, daß der Überfall auf Oliver Neß und die Einschränkung der Pressefreiheit durch das Polizeirecht kein Einzelfall ist. So wurden beispielsweise der „Mopo“-Repor-

1ter Frank Wieding und der RTL- Korrespondent Thomas Schnell wegen Widerstands verurteilt, weil sie bei einer Häuserräumung nicht den Anweisungen der Polizei Folge leisteten und den Ort des Geschehens verließen. Fotojournalistin Marily Stroux wurde Anfang des Jahres in der Hafenstraße von Beamten der Bereitschaftspolizei (FD 954) die Treppe heruntergestoßen, als sie das Polizeiagieren verfolgen wollte. IG-Medien-Sprecherin Sigrid Meißner: „Man muß in Ham-

1burg Angst haben, Journalist zu sein. Wir werden daher den Prozeß sehr genau beobachten.“

Für Anwalt Manfred Getzmann, der Oliver Neß vertritt, ist das Verhalten der Innenbehörde unbegreiflich, weil der Auftritt der jetzt aufgetauchten Zeugen Folgen haben kann. Sollten sie tatsächlich eine Falschaussage machen, nur um ihren Kollegen Schröder zu retten, können sie selbst schnell vor dem Kadi landen. Getzmann: „In diesem Fall ist Musik drin.“ Kai von Appen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen