: Buschmann in Phonograph
■ Filmprogramm über die Geschichte des ethnographischen Films
Im Jahre 1908 beugt sich in der Kalahari ein Eingeborener tief in den Aufnahmetrichter eines Tonaufnahmegeräts. Die Filmkamera des österreichischen Ethnographen Rudolf Pöch verewigte die Szene, und so können wir heute seinen drei Minuten langen Film „Buschmann spricht in den Phonographen“ als ein völlig absurdes Beispiel ethnographischen Filmschaffens bewundern. Der Kopf des Afrikaners ist im Apparat verschwunden, man kann keinerlei Einzelheiten erkennen; aber seine Stimme — die kratzige Tonaufnahme, deren Einstehung wir sehen — ist auf die Tonspur des Stummfilms geschnitten. Man erfährt hier mehr über die Filmenden als über den direkt Abgebildeten, und so bringt dieser kleine Film ein Dilemma des ethnographischen Films auf den Punkt.
Zu sehen ist dieser „wissenschaftliche“ Dokumentarfilmheute abend im Rahmen des Filmprogramms „Der Blick in die Fremde“, in dem das Kommunalkino in Zusammenarbeit mit dem Filmbüro, der Volkshochschule und dem Überseemuseum Beispiele zur Geschichte und Entwicklung des ethnographischen Filmes präsentieren.
Im Kino 46 werden heute um 18.30 Uhr 20 Filme aus den Jahren 1896 — 1908 gezeigt. Darunter Thomas Edisons Aufnahmen von Indianern, die er ohne viel Federlesen in seinem Studio tanzen ließ, die Ashanti Serie der Brüder Lumiere (gedreht auf der Weltausstellung in Lyon) und eine Reihe von Filmen von Rudolf Pöch aus Neuguinea und der Kalahari. Einige der gezeigten Filme, die als Leihgabe des Völkerkundemuseums von Marseille zwei Monate lang durch Deutschland touren, waren hier noch nie zu sehen.
F.W. Murnaus „Tabu“ aus dem Jahr 1930/31, der heute abend um 20.30 Uhr gezeigt wird, ist ein glänzendes Beispiel des spielerisch-poetischen Blicks der Kamera auf die Fremden: „wie lebendig gewordene Bilder von Gauguin“ nennt er selber diesen, seinen Traum von der Südsee.
Bei fast allen ethnographischen Filmen haben die Abgebildeten keinerlei Einfluß auf die Aufnahmen: es sind keine Filme von ihnen, sondern über sie. Ausnahmen sind am Samstag um 18.30 Uhr zu sehen: vier „Navajo — Filme“, die zum Teil von den Indianern konzipiert und gedreht wurden. Um 20.30 Uhr ist das Standardwerk des Genres zu sehen: der Bericht über das Leben der Eskimos „Nanook of the North“ von Robert Flaherty (1921).
Eine kritische Rückschau, in der die Filmaufnahmen vom „ersten Kontakt mit Eingeborenen in Neuguinea“ mit Aufnahmen verglichen werden, die nach der „Zivilisierung“ gedreht wurden, ist der Film „First Contact“, der am Sonntag um 18.30 Uhr gezeigt wird. Dannach um 20.30 Uhr sind vier Werke des renommiertesten ethnographischen Dokumentarfilmers Jean Rouch zu sehen: zwischen 1950 und 1988 gedreht, zeigen sie Bilder vom alltäglichen Leben in Mali, Beerdigungszeremonien in Bokina Faso oder nigerische Extase-Riten.
Die Filmreihe wird ergänzt durch ein Seminar, das vom Filmtheoretiker Werner Petermann und Martin Taureg geleitet wird. Anmeldungen und Informationen dazu gibt es bei „VFilmwerkstatt/Filmbüro“. Wilfried Hippen
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