Sex is ... Aids?

Weg von der Metapher: Die Filme, die anläßlich der Welt-Aids-Konferenz in Berlin laufen, dokumentieren den Prozeß der Krankheit.  ■ Von Brigitte Werneburg

„Sex is always out of reach“, sagt einer der 15 befragten schwulen Männer zu Beginn von Marc Huestis Film „Sex is ...“. Sex ist immer Schemen und Sehnen, weil Sex nicht einfach ist, so wird es jedenfalls deutlich bei Betrachtung der Filme, die anläßlich „aids culture cultural aids“ im Berliner Eiszeit-Kino, im Tränenpalast und an der Volksbühne laufen. In der Abfolge der Filme differenziert sich Sex in Annahmen über Sex und sexuelle Praxis, und je mehr die sexuelle Praxis den Annahmen entspricht, desto fataler ist der Ausgang. Denn die Annahmen zu Sex sind merkwürdigerweise durchweg fürchterlich fundamentalistisch und in der Praxis gibt es Aids, die Viruskrankheit, die durch Blutkontakte übertragen wird. Und deshalb hilft es nicht – wie einer von Marc Huestis Interviewpartnern etwas verwundert anmerkt – sich zu verlieben, es hilft nur Safer Sex. In diesem Satz kommt eine der fundamentalistischen Unterstellungen zutage, die da heißt: Sex ist eine reine Männersache. Eine harte, schnelle und gefährliche Männerangelegenheit. (Und wenn sie so inzwischen nicht mehr gutgeht, dann müssen wir es mit diesem Frauending, Liebe, probieren.) Dieses Vorurteil ist keineswegs ein schwules Vorurteil, es gilt auch für die heterosexuellen Schwarzafrikaner, die in den Filmen „Born in Africa“, „It's Not Easy“ aus Uganda und „The Faces of Aids“ aus Simbabwe angesprochen werden sollen. Es gilt ebenso für die Freundin eines Bluters, in dem frankokanadischen Film „Mortel Désir“, die sich infizierte, weil es ja um Liebe ging.

Männlichkeit ist eine Konstruktion. Und Sex ist das Fundament dieser Konstruktion. Ein Fundament, das in den schweren Beton der Doppelmoral gegossen ist. Die Sicherstellung der Treue der Frau, die als Antwort scheinbare Treue verlangt, und damit kein Kondom erlaubt; geforderte Jungfräulichkeit oder verbotene Geburtenkontrolle mit der Folge ungeschützten heterosexuellen Analverkehrs; die Ächtung (praktizierter) Homosexualität mit dem Zwang zur Familiengründung; die antiimperialistische Ideologie vom Feldzug des weißen Mannes, der mit Geburtenkontrolle und Kondom den farbigen vernichten will; der Schlachtruf „schwuler Sex ist die Revolution“, mit der Hochstilisierung des „violent male sex of cruise some more, shop some more“ (wie unübersetzbar in „Sex is ...“ gesagt wird) – all das zeigt eines: Es ist das Patriarchat, das sich über seine Konstruktion von Männlichkeit nicht im geringsten im klaren ist. Und um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: das Patriarchat sind Männer und Frauen, Hetero- und Homosexuelle, niemand ist da in der eleganten Außenseiterposition. Das erweist sich leider in der sexuellen Praxis, in der Aids alle angeht.

Das Patriarchat, das sind Regierungen, der Gesundheitsapparat, Kirchen und Medien. Und wenn es etwas Gutes über Aids zu berichten gibt, dann nur dieses: Die Infektion ist mächtig, sie ist tödlich und sie zwingt die Institutionen in die Knie. Aids ist eine Chance, die Doppelmoral aufzulösen, denn Aids zeigt: Es geht um Sex. Um den Sex aller, Frauen, Männer, Hetero- und Homosexueller.

Und Sex ist dann Reden über Sex und nochmals Reden über Sex. Verständigung über Sex, das ist die Botschaft der Filme zu Aids, ist die Sache, die jetzt ansteht.

Am verrücktesten, fröhlichsten und mit verblüffendem Engagement geschieht das in „DiAna's Hair Ego“, einem Friseursalon in Columbia in Südkarolina, das im berühmt-berüchtigten „Bible Belt“ liegt, wo Sex nur Sünde ist. Ohne staatliche Gelder, haben die Kosmetikerin DiAna und die Ärztin Dr. Bambi Sumpter ein Programm für Kosmetik- und Friseursalons entwickelt, das vom Kondomangebot, über Comics für Leseunkundige zu Workshops und Reden-über-Safer-Sex-Parties geht, die ein wenig an Tupper-Parties erinnern, nur daß die angepriesene Plastikware Dildos und andere Sexspielzeuge sind. DiAna, die warmherzige und aufgedrehte Friseuse hätte Philly Bongoley Lutaaya gefallen, hätte er sie kennengelernt. Bei Lutaaya, dem Popstar Ugandas und eine Art Jimmy Cliff Schwarzafrikas, wurde 1989 Aids diagnostiziert. „Born in Africa“, eine amerikanische Dokumentation von Virginia Storring und John Zaritsky schildert, wie der Sänger die letzten Monate seines Lebens in den Dienst der Aids- Aufklärung stellte und mit seinem öffentlichen Bekenntnis, er sei an Aids erkrankt, die Regierung zwang zuzugeben, daß der Virus in Uganda nicht nur existiert, sondern ganze Landstriche entvölkert hat. Popularität und Bekenntnis bewirken auch in Afrika die denk

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bar größten Verhaltensänderungen. Vor allem wenn sie, wie jetzt in Uganda, mit staatlicher Aufklärungsarbeit unterstützt werden.

Die Abspanntitel zeigen, daß Gelder von amerikanischen Universitäten und Lesbenorganisationen kommen. Manfred Salzgeber, der Organisator der Filmreihe, bemerkt zu Recht, daß Gelder auch aus Deutschland fließen müßten, um den Betroffenen die Videokamera in die Hand zu geben, ihr Schicksal identifikatorisch für die anderen darzustellen.

„Silverlake Life“ ist ein solcher Film aus der Perspektive des amerikanischen Dokumentarfilmers Tom Joslin und seines langjährigen Freunds Mark Massi, die beide an Aids erkrankt sind und nun die Mühsal und Qual des Krankheitsverlaufs aufzeichnen. Die Schlüsselszene für ein Leben auf einen absehbaren Tod hin steht am Ende, wenn Joslin entlang dem Los-Angeles-Marathon eine ältere Läuferin anspricht, „glaubst du, daß du den ganzen Weg durchhälst?“ „Mit all den wunderbaren Leuten um mich herum“, antwortet sie, „und der ganzen Unterhaltung am Rande, denke ich schon, daß ich's bis zum Ende mache.“ Dieses Moment durchzieht sämtliche Dokumentationen zum Thema HIV-Positive und Aidskranke: Die Annahmen über Sex ändern sich, aufgrund einer notwendigerweise veränderten Praxis. Die Aussagen ganz platt widergegeben, lauten: auch Verantwortung, will sagen, Safer Sex in all seinen Dimensionen von Gummischutz bis größerer Treue und mehr Phantasie- und Beziehungsarbeit, birgt Lustgewinn, bringt neuen Erfahrungsreichtum, neue Leidenschaft.

Gibt es noch die Frage nach dem Rausch. Ist Sex nur noch Aids, oder gibt es noch den rauschhaften, selbstvergessenen, verworfenen Sex? Diese Frage bewegt „Sex is ...“ mit seinen zwischen die Interviews geschalteten Pornoszenen und auch den Kurzfilm „Dead Boys Club“ mit seiner Nostalgie für die 70er Jahre und Disco- Queen Donna Summer. Und die ambivalente Antwort lautet, sex, drugs and rock'n'roll sind in dieser Form nie mehr denkbar, aber das ist nicht so wichtig, wie man einmal dachte. Wer dabei war, hat es erlebt, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, besser, den betrügt das Leben um eine Erfahrung. Allerdings „bestrafte“ das Leben in diesem Fall die, die dabei waren. In dem Film von Daniel Schweizer, „Vivre avec“, zwei Schweizerinnen, die sich über die Nadel infiziert haben. Sylvie, 28, ist heute Mutter von zwei (nicht infizierten) Kindern und wird mit AZT behandelt. Wenn es Heroismus zu bewundern gibt, in dieser an imponierenden Menschen reichen Filmreihe, dann bestimmt bei dieser fragilen Frau, die in Schulen Aufklärung über Aids erteilt und die schlicht versucht, so lange zu überleben wie möglich.

Nähere Informationen zu den Filmen und Lizenzen bei Edition Manfred Salzgeber, Motzstraße 9, 1000 Berlin 30, Tel. 030/2 153 209, Fax 0302 154 348