Niemals das gleiche Konzert

Wiedervereinigungen sind en vogue, und Legenden leben länger: Nach 25 Jahren sind Velvet Underground wieder gemeinsam auf der Bühne zu bestaunen, ab heute sogar in Deutschland. Ein Gespräch mit Bratschenmann und Exil-Waliser John Cale über Lou Reed, gediegenes Songcrafting, Dylan Thomas und die Hintergründe der Reunion  ■ Von Christine Otten

John Cale, heute 51 Jahre alt, war Gründungsmitglied bei Velvet Underground. Heute lebt er als Familienvater, Produzent und Immer- noch-Musiker in Greenwich Village. Dort hat ihn unsere Autorin auch Anfang des Jahres getroffen.

taz: Wann haben Sie angefangen zu schreiben, und was waren damals Ihre Einflüsse?

John Cale: Ich habe eigentlich schon immer Gedichte geschrieben, kurze Verse, das tut doch jeder, oder? Es hilft einem durch die Pubertät. Vor kurzem habe ich ein altes Schulheft mit den Gedichten gefunden, die ich damals am gelungensten fand. Einige davon waren äußerst erotisch. So also begann ich, während meiner Zeit bei Velvet Underground, Songtexte zu schreiben. Es war unheimlich wichtig für mich, was Lou von ihnen hielt. Ich habe sie ihm gezeigt, und er sagte zum Beispiel: „Ist okay, aber hier mußt du noch einen Refrain einbauen... hier auch... Du mußt den Nagel auf den Kopf treffen.“ So lernte ich, anders zu schreiben, handwerklicher und disziplinierter. Lou zeigte mir, wie wichtig der Refrain für einen Song ist. Ich weiß aber immer noch nicht, was die bessere Art des Schreibens für mich ist. Wie ich zum Beispiel die poetische Seite meiner Gedichte so einsetze, daß sie wirklich lebendig werden. Ich habe mich auf das Songschreiben nie so konzentriert wie Lou. Früher war ich darauf einmal eifersüchtig. Lou arbeitet professionell, langsam und vorsichtig.

Wie kam es, daß Sie damals von Wales nach New York gegangen sind?

John Cale: Ich wollte schon immer nach New York, was wirklich Tolles probieren, Erfolg haben. Als ich Lou traf, habe ich sofort gespürt, daß er genau das hatte, wonach ich in Wales immer vergeblich gesucht habe. In Wales konnte man außer trinken eigentlich gar nichts machen. Ich weiß nicht, wie es heute ist, aber damals war es ziemlich konservativ, unglaublich streng. Freitagnachts habe ich immer Radio Luxemburg gehört, Alan Reed spielte dort die ganzen neuen Rock'n'Roll-Sachen, und ich habe gedacht „Ach du heilige Scheiße“. Ich erinnere mich, daß wir in unserem Dorfkino einmal mit Freunden direkt vor der Leinwand getanzt haben, und keiner konnte irgendwas dagegen tun. Natürlich haben sie uns rausgeschmissen und mir erklärt, ich wäre das schwarze Schaf der Familie, aber lustig war's trotzdem. Dort hatten wir auch unsere erste mixed media show, das war Andy Warhol mitten in Wales.

Später in New York hatte Lou Songs geschrieben, die keiner aufnehmen wollte, aber ich habe gesagt: Fuck them, irgendwie schaffen wir das. Lou spielte akustische Gitarre, aber ich konnte das nicht hören und habe ihm gesagt, er soll es lieber mit der Elektrischen versuchen, sonst wäre er genau wie Joan Baez. Lous Texte waren düster und problemorientiert, er wollte schon immer wissen, wie man den Leuten unter die Haut geht. Er hatte „Heroin“ geschrieben, „I know just where I'm going“ hieß der ursprüngliche Text. Das war natürlich etwas völlig anderes als „How many miles must a man walk down“ von Bob Dylan. Wir wollten keine Fragen stellen, sondern über Tatsachen reden, und wir waren beide an der destruktiven Seite von Musik interessiert... jedenfalls an den dramatischen Effekten dieser Destruktivität. Ich war stark von John Cage und La Monte Young beeinflußt, ihren Soundvorstellungen, der Einführung verschiedener Sounds und Geräusche in die Musik. Genau das wollte ich im Rock 'n' Roll machen, niemals das gleiche Konzert zweimal geben.

Am Anfang, bevor Sie die Band gegründet haben, spielte Lou Gitarre, und Sie spielten Viola.

Ja, eine seltsame Mischung, aber sie funktionierte. Die Viola ist ein sehr melancholisches Instrument, viel weicher als die Violine, aber ziemlich unterschätzt. Ich weiß nicht wieso, aber was wir später in der Band damit machten, hat diesen besonderen Charakter der Viola dann nicht mehr berücksichtigt. Als Andy Warhol anfing, bei uns mitzumischen, hatten wir plötzlich jede Menge Publicity, aber komischerweise keine kommerziellen Erfolge. Ich glaube, das lag daran, daß wir einfach nicht genügend hübsche Songs hatten, nicht genug „Sunday Mornings“. Die Viola hätte eine viel größere Rolle spielen müssen, aber Sterling (Morrison) hatte keine Lust, Bass zu spielen, also mußte ich das machen. Und plötzlich bist du dann ein Bassist, bist erfolgreich, ein Held, du kriegst Anerkennung und so weiter, bla bla bla...

Sobald du dann wieder Viola spielst und hübsche Lieder machst, beschweren sich die anderen in der Band, weil sie keine Lust haben, Bass zu spielen, wo sie doch eigentlich Gitarristen sind. Es ist mir leichtgefallen auszusteigen. Für unser erstes Album haben wir ein ganzes Jahr lang sehr konzentriert geprobt, bis wir „Heroin“ und „Venus in Furs“ draufhatten. Später haben wir nur noch improvisiert, eine Entwicklung hat es überhaupt nicht mehr gegeben.

Nachdem Sie Velvet Underground 1970 verlassen hatten, haben Sie eine Menge Solo-Alben gemacht, die im Stil sehr unterschiedlich waren. „Church of Antrax“ (1971) zum Beispiel war stark von der minimal music inspiriert, „Slowdazzle“ (1975) war purer Rock'n'Roll. Dazwischen haben Sie Alben für Nico, The Stooges und Patti Smith produziert. Was wollten Sie damals?

Am Anfang wollte ich, daß jedes Album anders ist, um mich wirklich völlig auszuprobieren. Aber letztlich bin ich damit nicht glücklich geworden, es wurde verwirrend und chaotisch. Ständig den Stil zu wechseln hat etwas Negatives. Wenn man irgend etwas wirklich gut machen will, sollte man sich, glaube ich, auf einen einzigen Aspekt seiner selbst konzentrieren und den dann ernsthaft ausbauen. Ich wollte weg vom Rock'n' Roll, weg von dieser Welt aus Symbolen und Äußerlichkeiten. Irgendwie war das eine Zeit des Verfalls, in der ich die Schlagzeuger verrückt gemacht habe. Ich hatte welche in meiner Band, nahm ihnen das Schlagzeug einmal weg und gab es ihnen später wieder zurück. Unsere Musik landete schließlich genau in dieser Ecke des Rock 'n' Roll mit seinen Symbolen und dem ganzen Zeug, und ich habe sie gehaßt.

Sie haben vier Gedichte Ihres walisischen Landsmannes Dylan Thomas mit einem Symphonieorchester vertont und wollten sogar eine Oper über sein Leben schreiben. Aus welchem Grund ist dieser Lyriker so wichtig für Sie?

Ich wollte zur klassischen Musik zurück, dahin, wo ich eigentlich herkomme, deshalb benutzte ich Thomas. Ich wollte herausfinden, ob mir das musikalisch etwas Neues bringen könnte. Ich bin damals ziemlich großzügig verfahren: ich suchte ein Gedicht aus, startete ein Band und fing an zu spielen. Das hat nicht mit allen Gedichten funktioniert. Mit „Death Shall Have

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No Dominion“ zum Beispiel hat das überhaupt nicht geklappt. Thomas' Lyrik hat ihren eigenen Rhythmus, Ton, Klang und die Musik kann sie leicht kaputtmachen. Schließlich blieben vier Gedichte übrig, und ich finde sie ziemlich gut gemacht, obwohl ich sie am liebsten allein mit Piano höre, ohne das Orchester.

Wenn man in Wales aufwächst, kommt man an Dylan Thomas nicht vorbei. In der Schule haben wir eine Menge über ihn gehört, wie er sein Englisch benutzte, so wie andere Lyriker ihr Walisisch. In Walisisch kann man mit nur wenigen Worten sehr viel ausdrücken. Thomas war jemand, mit dem man sich identifizieren konnte, er kam aus dieser strengen presbyterianischen walisischen Welt, und dann hört man ihn plötzlich seine Gedicht lesen: Das ist wie von einem Lastwagen überrollt zu werden. Sein Sinn für Humor, Gott weiß, er brauchte ihn... Er ist einfach inspirierend, jedenfalls war er das für mich, sein absoluter Verzicht auf Argumentationen, diese Feierlichkeit der Sprache, allein ihr Klang...

Schon früher haben Sie „A Child's Christmas in Wales“ für einen Song auf dem Album „Paris 1919“ verwendet. Thomas beschreibt in dem Gedicht einen idyllischen Weihnachtstag in seiner Jugend: Viele Onkel und Tanten, die immer für eine wilde Geschichte gut sind, schauen auf einen Besuch vorbei, Gesang gibt's auch... Kannten Sie diese Welt aus eigener Erfahrung?

Da hat nichts geklingelt. Ich meine, es ist ein schönes Gedicht, aber wiedererkannt habe ich darin nichts. Ich bin sehr behütet aufgewachsen. Einfach andere Leute zu besuchen, war eine schwierige Sache für mich. Auch bei uns war Besuch selten. Alles in allem war es ein sehr abgeschirmtes Leben. Ich weiß immer noch nicht genau warum, aber es war für mich nie besonders reizvoll, mit anderen Kindern zu spielen. Vielleicht weil wir arm waren. Ich probierte viel am Piano aus, keine Zeit zum Draußenspielen. Als ich elf war und zur Grundschule ging, wurden meine sozialen Kontakte etwas intensiver — wenn ich zur Schule ging. Ich ging so früh wie möglich von zu Hause weg und kam so spät wie möglich zurück, nur um draußen zu sein und meine Freunde zu sehen. Lustigerweise wollten meine Eltern mich just zu der Zeit von der Musik wegbringen. Ich sollte mehr Zeit über meinen Hausaufgaben zubringen, um später Rechtsanwalt oder Arzt zu werden. Dabei war ich gerade da auf den Geschmack gekommen. Ich wurde besser, versuchte mich an Eigenkompositionen, spielte in Jugendorchestern, um den ganzen Sommer nicht zu Hause zu sein.

Meine Tochter hat gerade mit Violinunterricht angefangen, und bei ihr kann ich sehen, wie so etwas funktioniert: in sehr kleinen Schritten, aber doch schnell. Sie ist wie ein Schwamm – was man in dem Alter in einem Jahr alles lernen kann! Ich sehe aber auch die Anstrengung, die sie das kostet. Deshalb bin ich sehr vorsichtig, ich zwinge sie zu nichts, und wenn sie lieber draußen spielen will, dann soll sie das auch. Ich will, daß sie den Spaß an der Sache behält.

Auf dem Album „Paris s' éveille“ von 1991 gibt es neben „klassischen“ Stücken und Ballettmusik wundersamerweise auch einen Song von Velvet Underground. Es heißt „Booker T“ und wurde 1968 live aufgenommen. Verrückterweise fällt der Song gar nicht aus dem Rahmen...

Ich hatte gerade das „Songs For Drella“-Album mit Lou abgeschlossen (eine Hommage an Andy Warhol; d.Red.). Das erste Mal seit zwanzig Jahren hatten wir wieder etwas zusammen unternommen. Das war auch der Grund, weshalb ich die alten Bänder noch einmal durchgehört habe: um mir klarzumachen, was die Essenz unseres Sounds war. Ich wollte etwas auf der CD haben, das von uns vieren war, von Lou, Sterling, Maureen und mir, aber etwas, wo Lou nicht drauf sang. „Booker T“ hatte das alles, obwohl ich später Tapes fand, die ich lieber mochte. „Booker T“ hat dieses Hypnotische, diese sich wiederholenden Muster, es ist ganz Stimmung.

Vor nicht allzu langer Zeit stießen Lou Reed und Sterling Morrison während einer Ihrer Solo-Performances an der New Yorker Universität bei einigen Stücken dazu. Wie kam der Kontakt zustande?

Wir hatten in letzter Zeit immer mal wieder zusammen geprobt. Nicht aus Karriere-Gründen, sondern einfach, um zu sehen, ob wir noch zusammen spielen können, und ob noch Spaß drinsteckt. Maureen natürlich an den Trommeln, ich hab' mal wieder Bass gespielt, Sterling kam mit der Gitarre dazu und dann Lou und... ganz langsam fing Sterlings Gitarre an, uns in den Sound reinzuziehen, verstehen sie? Was da passierte, war so wundervoll, weil wir ganz genau diesen hypnotisierenden Sound wiedergefunden haben.

Aber ist das nicht auch nostalgisch?

Ich habe nicht das Gefühl, daß wir uns nur noch selbst parodieren. Ich bin an der neuen Seite des Ganzen interessiert, der künstlerischen Seite. Wir müssen ja nicht unbedingt hingehen und „Heroin“ und „Venus in Furs“ noch mal nachspielen – obwohl das auch großartig wäre. Wissen Sie, vor einiger Zeit war ich sehr mit der Organisation meiner eigenen Geschäfte befaßt: die Pressekontakte, die Absprachen mit den Plattenfirmen. Es war, als müßte ich mir beweisen, daß ich alles selber machen kann... wie ein echter Erwachsener. Bloß: In Wirklichkeit will ich gar nicht erwachsen werden.

Und warum nicht?

Weil man dann keine Risiken mehr auf sich nimmt. Man wird selbstzufrieden und denkt, alles richtig gemacht zu haben, und das ist gerade die Gefahr: Man ist nicht mehr auf plötzliche Änderungen gefaßt, die aber immer mal passieren können. Und was man nicht auf einen zukommen lassen kann, das muß man dann abwehren.

Aus dem Englischen von Barbara Häusler und Thomas Groß

Konzerttermine: Heute abend Hamburg, 20.6. Berlin. Dazwischen, für Reisefreudige: 13.6. Prag, 15./16./17.6. Paris