: Fourth Reich' n' Roll?
Alle brandmarken Nazi-Rock. Doch die Bauchmusik, die der Rock'n'Roll immer sein wollte, hat im Rechts-Rock nur seine perverse Steigerung erfahren. Ein Vorabdruck aus einem Buch über Jugendkultur und rechten Mainstream ■ Von Gerald Hündgen
Ende der Achtziger traten in einem Kölner Club die englischen Extremlinks-Rocker Redskins auf. Jede Textzeile war eine Anklage des Kapitalismus. Jeder Song gipfelte in einem Aufruf ans Publikum, sich einer sozialistischen Organisation anzuschließen. Wer Zeuge des allumfassenden Jubels und der von mehreren Hunderten mitskandierten Parolen war, der mußte glauben, die klassische Arbeiterbewegung erlebe hier eine nie dagewesene Renaissance und den Rekrutierungsbüros von Falken und allem, was links davon ist, würden in den nächsten Tagen die Aufnahmeformulare ausgehen.
Natürlich geschah nichts dergleichen. Eine Woche später mag sich ein beinahe identisches Publikum bei einer religiös fundierten Reggaeband eingefunden haben und ebenso inbrünstig eingefallen sein in deren Preisungen des Allmächtigen wie zuvor in das Lob des Sozialismus.
Musikjournalisten, die damals im Erfolg der Linksband mehr gesehen hätten als einen in seiner Berufung auf die proletarische Revolution sehr vereinzelten Reflex auf den Thatcherismus, wären – zu Recht – verlacht worden. Zu Recht, weil sich die Redskins in einer Zeit, wo es in Großbritannien zu städtischen riots kam, aber die Arbeiterbewegung Niederlage um Niederlage einsteckte, eher als Nachhall der organisierten Linken denn als Frühling einer neuen Ära marxistisch orientierter Jugendlicher erwiesen. Ebenso lächerlich hätten ein paar Jahre zuvor Kritiker gewirkt, die in Devos „Mongoloid“ oder in DAFs „Tanz den Mussolini“ Vorboten einer wachsenden Behinderternfeindlichkeit bzw. ein Wiederaufleben des Faschismus erblickt hätten. [...]. Sie sahen in solchenSongs – wie etwa Hermann L. Gremliza – höchstens die kulturelle Entäußerung einer Jugend, die von apolitischer Gleichgültigkeit geprägt war: denen Mussolini, CCCP-Embleme und Designerjeans gleichberechtigte Ausstattungsstücke beim Tanz auf dem Vulkan waren.
Mit dem Rock'n'Roll, ja jeder populären Kultur, verhält es sich halt nicht anders als mit Malerei, „ernster“ Musik oder Literatur. Hier werden offensichtlich und gebrochen und widersprüchlich und eskapistisch gesellschaftliche Entwicklungen vermittelt. Gerade in einer Periode, die als Postmoderne begriffen wird, in der es den einen verbindlichen Stil nicht mehr gibt, ist der schnelle Schluß von kulturellen Phänomenen aufs herrschende gesellschaftliche Bewußtsein unmöglich: Wer wollte heute entscheiden, ob die Langsamkeit von dope beats oder die Schnelligkeit von House, der soziale Realismus des HipHop oder die Fantasywelt von Heavy Metal, der Kosmopolitismus der Weltmusik oder der Nationalismus des Rechtsrock die zeittypische Verarbeitung der Gegenwart ist? Selbst die empirische Analyse hilft hier nicht weiter, denn jeder dieser Stile findet sein Käuferpotential [...].
Rechtsrock = Medienhype?
Genau das sagen sie ja, die den Rechtsrock für Mediahype halten. Von einer Dominanz des Rechtsrock könne – lasse man nur die Zahlen sprechen – gar keine Rede sein. Wolfgang Spindler kommt in der „Frankfurter Rundschau“ sogar zum umgekehrten Befund: „Bis heute ist Rockmusik zu 99,9 Prozent antirassistisch. Der „Weltmusiker“ Peter Gabriel steht auf Platz eins der deutschen Charts, farbige Bands wie die Neville Brothers touren durch ausverkaufte Häuser, und Ethno-Musik ist nicht erst seit Paul Simon ein Kassenschlager.“
Lassen wir einmal die Frage beiseite, ob Nichtrassismus (also das bloße Fehlen offen rassistischer Botschaften) schon als Anti-Rassismus (also als explizite Stellungnahme gegen den Rassismus) gelten kann, dann bleibt jedoch das unabweisbare Fazit, daß der Rock heute nicht vorwiegend rechts vorgetragen wird. Aber da auch ein Wolfgang Spindler die Tageszeitung liest, z.B. die, für die er arbeitet, und am Alltagsleben teilnimmt, z.B. Fernsehen schaut, dürfte ihm auch nicht entgangen sein, daß er mit seinem Fazit ganz falsch liegt: „Wenn das Thema Rechts-Rock von der Bildfläche und von den Bildschirmen verschwindet, dann dürfte es verschwinden.“ Den Grund dafür liefert er selbst vorher: „Es (Rechtsrock) paßt in die Zeit: Hoyerswerda, Rostock, Asylantendebatte ...“ Es paßt nämlich nicht nur den Medien in die Zeit, sondern auch den Menschen, die für Rostock, Hoyerswerda und die Asyl-Debatte verantwortlich sind.
Mit demselben Recht, mit der Rechtsrock zum Mediahype erklärt wird, kann man natürlich auch gleich die Gewalt gegen Ausländerinnen und Ausländer als Journalistenübertreibung denunzieren, denn wer wollte bezweifeln, daß 99,9 Prozent aller alltäglichen Verrichtungen von Jugendlichen antirassistisch sind. So und nur so würde es am Ende wenigstens irgend einen Sinn machen: Wo's keine rechte Gewalt gibt, kann der Rechtsrock nicht Ausdruck einer ernstzunehmenden gesellschaftlichen Bewegung sein.
Doch daß deutsche Jugendliche zu rassistischen Mördern werden, wird als unabweisbare Tatsache hingenommen. Damit hingegen kann mancher sich nicht abfinden: Daß Rock'n'Roll zur rassistischen Musik werden kann. Die gesellschaftliche Hegemonie der Linken bei der Jugend ist längst verloren, aber die kulturelle Hegemonie in der Jugendkultur des Rock'n'Roll lassen sie sich nicht auch noch nehmen. So sorgt eine antirassistische Hitparade für das gute Gefühl, daß der Rechtsradikalismus sich wenigstens noch nicht an den Verkaufstheken der Plattengeschäfte äußert [...]
Nein, selbst wenn sich die Medien ein Schweigegebot über den Rechtsrock auferlegten, würde er keinesfalls verschwinden. Denn die Jugendlichen, die in Hoyerswerda oder in Rostock zu sehen waren, hören Musik zum Feierabend, und bei irgendeiner Musik müssen sie doch ihre überwältigenden Erfolge in der deutschen Asylpolitik zelebrieren. Gerade für die nicht geringe Anzahl von Nazikadern, die direkt den (Oi-)Punkkreisen entstammen, war und ist Musik selbstverständliche Stimulans, um sich allein oder im Kreise von Gesinnungsgenossen für neue Taten zu rüsten.
War's nicht gerade das, was sich Rock'n'Roll immer zugute hielt, daß er authentischer Ausduck der Bedürfnisse und des Verlangens von Jugendlichen war? Eine Hitparade, die keine Ahnung gäbe von dem Viertel der unter 25jährigen in Deutschland, die rechte Parteien wählen (wollen), bewiese allein, daß Rock'n'Roll weite Teile der Jugend nicht mehr repäsentiert. So wäre dann der Rock'n'Roll auf Kosten seines eigentlichen Kerns – das Ausdrucksmittel der Jugend zu sein – gerettet.
Dennoch sind sie da, die Rechtsrocker, und sie bedienen, wie man hört und liest, einen ständig wachsenden (Untergrund-)Markt. Man mag ihn per Umsatzanalysen marginalisieren, mit medialen Verschwörungstheorien als Chimäre bannen oder durch Neufassung der Rock'n'Roll-Definition weginterpretieren, und doch bleibt es dabei, da draußen sind Jugendliche, die sich ihren Rock'n'Roll-Soundtrack zu ihren faschistischen Ideen und Taten kreieren. Wäre es nicht wahrhaftig ein Wunder, wenn sie's nicht täten?
Rock'n'Roll als Naturrecht
Es liegt natürlich auf der Hand, warum ein Interesse daran besteht, die Existenz von Rechtsrock in Frage zu stellen, rührt er doch an Essentials von – nennen wir sie aus Mangel an präziseren Begriffen – jugendlicher „Gegenkultur“. Rechtsrock läßt nicht länger die Überzeugung zu, Jugend sei per se fortschrittlich oder gar links und ihre kulturellen Selbstentäußerungen liehen notwendig dem unverbildet Guten die Stimme.
Das war's doch, woran man seit Elvis Presley beinahe 40 Jahre glauben durfte und konnte: Im Rock'n'Roll brechen sich die Wünsche, Sehnsüchte und Triebe derjenigen Bahn, die sich Kapitalismus und herrschender Moral noch
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nicht unterworfen hatten. Die Macht des Rock 'n' Roll erwuchs daraus, daß seine Bilder und seine Forderungen keinem ausgeklügelten Programm folgten, daß hier Menschen über nichts anderes als ihr – noch nicht ein- und angepaßtes – Menschsein in Opposition zum herrschenden System gerieten. [...] Seine Berufung auf die Natur machte ihn stark, ja unangreifbar, denn wie könnte man ihren Forderungen widerstehen. [...] Nur vor diesem Hintergrund macht jede Jugendrebellion und jede Jugendkultur Sinn: Sie schöpft ihr Selbstbewußtsein aus ihrem Noch- nicht-Erwachsensein, die Rechtmäßigkeit ihrer Ansprüche findet sie legitimiert im Naturrecht, das sie verkörpert. Egal, ob es sich um die Burschenschaftler des vorigen Jahrhunderts oder die Jugend nach dem Ersten Weltkrieg, wie sie sich im Expressionismus ausdrückt, handelt, nicht anders als die Rock 'n' Roller nach ihnen begehrten sie im Namen „natürlicher“ Werte auf: des Rechts der gewachsenen Nation bzw. des Menschenrechts. Beide lehren auch einiges für die gegenwärtige Debatte um den Rechtsrock. So beweisen die nationalistischen Studenten, daß eine Jugendbewegung schon von Anfang an von reaktionärem Gedankengut geprägt sein kann, und am Expressionismus läßt sich zeigen, wie eine fortschrittliche Kunstrichtung später auch faschistische Ideen transportieren kann. Die Bilanz, die Klaus Mann 1934 über den Expressionismus zieht, muß auch heute vor falschen Sicherheiten warnen: „Jener Irrationalismus wurde zur demagogischen Phrase für eine Bande von anarchisch-reaktionären Lumpen. Alles, was mit Enthusiasmus um die Jugend warb, redete plötzlich wieder von Dingen, von denen vorher nur die reaktionären alten Väter geredet hatten: zum Beispiel von der Nation.“ Und: „Freilich vom Kult der puren Vitalität konnte man zum Kult der Brutalität und des sadistischen Nationalismus kommen.“
Jugendbewegung, egal was ihre Verfechter sagen, ist am Ende immer mehr Produkt der Verhältnisse als ihr Motor: Ihre Kämpfe und ihre Kunstwerke können eine Gesellschaft vorantreiben, wenn es innerhalb der Gesellschaft Kräfte gibt, die ein Interesse an solchen Veränderungen haben und diese auch durchsetzen können. So triumphierte am Ende der Weimarer Republik die Jugendbewegung in den braunen Uniformen der SA und die Studentenbewegung, die schon lange vor der Machtergreifung Hitlers die Universitäten beherrschte.
Republik 'n' Roll
Der Rock 'n' Roll traf nach dem Zweiten Weltkrieg auf günstigere Bedingungen. Dort, wo er am nachhaltigsten wirksam war, z.B. der Moral, konnte er sich immer auch auf aufgeklärte Bürger stützen, die feudale Relikte wie die an eine lebenslange Eheschließung gebundene Sexualität endlich auch für den Markt und seine Gesetze von Angebot und Nachfrage freigeben wollten. Der Beitrag der Woodstock-Generaton zur Vietnam-Bewegung muß ganz sicher hoch veranschlagt werden, doch auch der z.B. in Sexualfragen ganz unrockige amerikanische Katholizismus machte sich für „Bring Our Boys Home“ stark – und schließlich waren's Nordvietnam und der Vietcong, die Saigon eroberten und den Krieg beendeten.
Diese Themen waren nie exklusive Themen des Rock 'n' Roll, sie wurden auch von Intellektuellen in Büchern und Zeitschriften diskutiert. Aber anders als sie hatte er mehr als Argumente auf seiner Seite, nämlich das Recht, das stets auf der Seite der nächsten Generation steht. Das hallt ja heute noch wider, wenn's heißt, daß die Erwachsenen die Welt von ihren Kindern nur geliehen haben – früher, da waren die Erwachsenen freilich noch mutiger, da sollten's die Kinder sogar besser haben als sie es hatten. So war es immer diese Kraft der Jugend und ihre von niemandem bestrittenen Ansprüche, die ihrer Musik die unmittelbare Durchschlagskraft verliehen. Diese Unmittelbarkeit mußte deshalb immer wieder rekonstruiert werden, wenn sich eine Generation von Rockern zu weit in den gesellschaftlichen Mainstream oder die Hochkultur entwickelt hatte. So stellten die Beatles eine Reaktion dar auf die Künstlichkeit des US-Pop, der ganz in die Fänge der New Yorker „Brill Building“-Schreiber und -Produzenten geraten war, deren austauschbare Girlgroups, hübsche Jünglinge und Novelty-Platten Anfang der Sixties die Charts dominierten. [...]
Als die No-Future-Generation antrat, lag der 68er-Linksradikalismus längst in Trümmern, die linke Sozialdemokratie maulte, ohne programmatische Zähne zeigen zu können, und in den Grünen manifestierte sich schließlich eine defensive Sicherung der Lebensgrundlagen, deren Energien sich dort potenzierten, wo es um die Abwehr unzweifelhaft lebensgefährlicher, aber eben auch „neuer“ Technologien ging. So vollzog die „No Future“-Generation nur radikaler dieselbe Konsequenz, die die Opposition insgesamt schon gezogen hatte. Während diese nur auf (sozialistische) Utopien verzichtete, wollte der neue Rock 'n' Roll gar keinen Anteil mehr haben an den Debatten um „realistische“ Zukunftskonzepte. Denn Rock'n' Roll stellt mit der Autorität einer Jugendkultur Menschheitsfragen, oder er degeneriert zu einer Stimme unter vielen im pluralistischen Ideenwettbewerb „Unser Weltdorf soll schöner werden“ [...].
Rechtsrock als Totaldissidenz
Wer Rock 'n' Roll immer noch allein an seinem aufschreckenden, tabubrechenden Charakter mißt, der sollte doch eigentlich am Rechtsrock seine helle Freude haben. Denn die geballte Ablehnung, die ihm von allen maßgeblichen Vertretern der „älteren Generation“ entgegenschlägt, zeigt eine Dissidenz vom Mainstream an, die selbst im Punk ihresgleichen sucht. Damals gab es immerhin aufgeschlossene Sozialarbeiter, fortschrittliche Pädagogen und weite Teile der künstlerischen Avantgarde, die ihn als authentischen Ausdruck der nicht vereinnahmten Jugend betrachteten oder sich sogar damit identifizierten. Beim Rechtsrock sind sie sich alle einig vom staatlich bestallten Jugendschrifttumsprüfer bis zum Anarchopunk. Mit den hergebrachten Kriterien, mit denen sie Rock 'n' Roll bisher beurteilt haben, kommt allein der staatliche Zensor aus. Ihm, dem Hippies und Punks, „Legalize It“ und „Anarchy In The UK“ allesamt nur taktische Finessen in einer Gesamtstrategie zwecks Unterhöhlung der Fundamente abendländischer Kultur waren, bereitet es keine Schwierigkeiten, auch Störkraft und Radikahl in ein und dasselbe moralische Abseits zu bannen. Probleme hat allerdings der Anwalt des Rock'n' Roll, der gerade nicht gleiches Recht für linken wie rechten Rock 'n' Roll will. Dieselben Begriffe, die für ihn vor dem Aufkommen von Rechtsrock die positiven Qualitäten von Rock 'n' Roll benannten – seine „Radikalität“, „Rücksichtslosigkeit“, „Aggressivität“, sein individuell-ungefiltertes Aufgreifen sozialer Themen, seine Authentizität im Ausdruck der eigenen Bedürfnisse, die Provokation der und des Etablierten – werden nun von der Gegenseite radikal bis zur Asozialität und rücksichtslos bis zur Todesdrohung vorgeführt.
Mit Recht tun sich Gegner des Rechts-Rock schwer, ihr Heil im staatlichen Eingreifen zu suchen. Darüber findet eine Debatte statt, die so alt ist, wie der bürgerliche Rechtsstaat, der formell rechts und links nicht unterscheidet, sondern nur eine Radikalitätsgrenze zieht, die für beide Seiten – vorgeblich – gleichermaßen gilt [...]. Darüber hinaus wäre es für die Rock 'n' Roller eine besonders schmähliche Kapitulation, „ihre“ Musik vor einer rechten Vereinnahmung ausgerechnet von eben diesen Herrschenden retten zu lassen, in deren Bekämpfung und Bloßstellung sie bisher die sinnstiftende Qualität „ihrer“ Musik sahen.
„Vereinnahmung“ liefert nun denen das Stichwort, die den Rechts-Rock nicht mit staatlichen Mitteln, sondern denen der immanenten Kritik entlarven wollen. Das geht dann so, daß man den Rechts-Rockern das Verständnis für die wahren Werte des Rock 'n' Roll abspricht und ihnen auch gleich noch nachweist, daß ihre Gitarrenriffs und Texte den ästhetischen Anforderungen an richtigen Rock'n' Roll nicht genügen.
Ohne ein Kenner der Materie zu sein, gebe ich zu, daß die Rechts-Rock-Bands vielleicht schlechte Musiker rekrutieren. Doch waren Clash und Mittagspause Virtuosen? Auch ihre Texte genügen nicht den Anforderungen literarischer Seminare an Reim und Rhythmus. Sowenig wie Little Richard und Lyndon/Matlock. Und daß sie stilistisch kein Neuland betreten, kann in unseren Tagen der Retros und Revivals kein schlagendes Argument gegen den Rechts-Rock sein.
Selbst wenn jede einzelne Rechts-Rock-Platte heute die schlechteste Richtigrock-Platte unterböte, wäre dies kein Grund, sich satt zurückzulehnen. Auch Rechts-Rocker können üben, und warum sollten nicht einige von ihnen wieder jene Ausnahmen bilden, die nur die Regel bestätigen, daß es keine „große“ rechte Kunst gibt. Und was würde erst passieren, wenn ein echter Rock 'n' Roller ins rechte Lager überliefe?
Schon hat der Rechts-Rock wichtige territoriale Gewinne gemacht: Noch vor einem Jahr einigten sich in einer hiesigen Stadtzeitung Vertreter der unterschiedlichsten Richtungen der Popkultur darauf, daß sich Techno oder Hardcore immerhin gemeinsam im „Underground“ befinden. Wo man sich über kaum einen politischen oder musikalischen Inhalt verständigen konnte, über die Form der Distribution ihrer Platten abseits der üblichen kommerziellen Kanäle definierte man sich unisono als „irgendwie“ subversive Kraft. Doch während sie eigentlich freiwillig den Underground aufsuchen – kein Saturn und keine „EMI“ verschmähen z.B. Techno bzw. die Profite, die sich damit machen lassen – zwingt die Rechts-Rocker tatsächlich vielfältiger Druck – nicht nur der Musikindustrie – in den „Untergrund“, wo sie nun abseits der üblichen kommerziellen Kanäle als mehr als nur irgendwie subversive Kraft wirken.
Rechtsrock und „Tümlichkeit“
Es ist – leider – eben nicht Pose: das Rebellische, das Dissidente, das Authentische und der Außenseiterstatus, den die Rechts-Rocker für sich beanspruchen. Noch einmal: Man mag ihre Platten schlecht finden, körperliche Qualen beim Anhören erleiden, aber eins bestätigen sie nicht: daß die Führung einer Nazi-Organisation junge Funktionäre abgestellt hätte, um sich den Rock 'n' Roll als Propagandawaffe anzueignen. Ich bin, wie gesagt, kein Kenner des Genres, aber die paar Stücke, die ich gehört habe, sind alles andere als kalkulierte Machwerke, unter Beachtung der formalen Konstruktionspläne des Rock 'n' Roll eine Maschinerie zu bauen, um damit Rock'n'Roll-fremde Botschaften zu transportieren. Sie sind vielmehr überwältigend in ihrer naiven Dumpfheit und brutalen Direktheit. Jemand, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, würde vom „Sound“ der Platten kaum auf ihre Messages schließen können. Sängen sie kymbrisch oder Euzkadi, könnten da ebensogut Punks die Freiheit Wales' oder der Basken einfordern. Rechts-Rock – so klingt er jedenfalls – kommt „von unten“, und – so legen's die Statistiken und das politische Klima nahe – seine Anliegen sind in diesem Deutschland auch sozial kraftvoll verwurzelt. Wer ihn bekämpfen will, indem er ihm seine „Normalität“ abspricht, ihn als abseitige Entwicklung der populären Kultur abqualifizieren möchte, der verkennt, daß seine „Tümlichkeit“ gerade seine stärkste Eigenschaft ist. Vernunft, Wissen, Zivilisation, all das, was der Begriff „Aufklärung“ bündelt, ist ihm einerlei. Die Bauchmusik, die der Rock 'n' Roll immer sein wollte, hat im Rechts- Rock seine perverse Steigerung erfahren.
Die nationalistische Weinerlichkeit, die von Lynyrd Skynyrd bis Bruce Springsteen gerade im amerikanischen Rock immer latent war, hier wird sie ohne Verbrämung auf einen chauvinistischen Nenner gebracht. Den Aufbruch und die Militanz, die „White Riot“ und „Street Fighting Man“ noch um ihrer selbst feierten, geben die Nazibands eine glasklare Stoßrichtung (und sie könnten die Clash- und Stones-Klassiker auch in ihre Sets integrieren). Apropos Clash: In Pose und Outfit sind Störkraft in ihrer lässigen Söldnerhaltung und ihrem schwarzledernen Urban-Guerilla-Look tatsächlich ununterscheidbar von Joe Strummers City-Rockern. Auch der Männlichkeitswahn, integraler Bestandteil der Rockkultur und zugleich ständig als innerer Schweinehund niedergehalten, lebt sich im Rechts-Rock nun ganz ohne schlechtes Gewissen aus.
Alles, was sich bei Menschen, vorzugsweise Männern als Verlangen „aus dem Bauch heraus“ meldet, die Rechts-Rocker kotzen es aus, ohne selbst bei den dicksten Brocken ins Würgen zu kommen.
„Musik ohne Filter“, „rauh und schnörkellos“, „laut und aggressiv“ – all die schon zum Klischee gewordenen Attribute des Rock 'n' Roll, werden von den Rechts-Rockern revitalisiert.
Saufen, Gröhlen, Zuschlagen
Wer den Rechts-Rock und die Nazis insgesamt mit ihren eigenen Mitteln schlagen will, mit dem Appell an Gefühle, ans Normale oder gar mit den „echten“ Rock 'n' Roll- Werten, der wird damit Schiffbruch erleiden: Gegen die rechte ganzlosgelassene Bauchkultur des Saufens, Gröhlens, Zuschlagens, den hemmungslosen Chauvinismus und Sexismus wirken „Elvis The Pelvis“, Beatlemania, Woodstock und „Anarchy In The UK“ heute wie Denkmäler derselben Zivilisation, gegen die sie ursprünglich in Opposition standen.
Nach dem Rechts-Rock wird für die Rock 'n' Roll-Kultur nichts mehr so sein wie vorher. Dabei spielt es gar keine Rolle, welche Umsätze Naziplatten erzielen und wie viele Zuschauer ihre Konzerte künftig anziehen. Das hängt von der gesellschaftlich viel wichtigeren Frage ab, wieviel Publikum dafür, also rechtes Potential, in Deutschland nachwächst. Aber für Rock 'n' Roll und Jugendkultur, wie wir sie bisher kannten, wird auf jeden Fall die Lehre bleiben, daß gerade ihre Stärken – ihre Ursprünglichkeit, ihre Spontaneität, ihre Emotionalität – den Rechts-Rock zum Fleisch vom Fleisch des Rock 'n' Roll machen. [...].
Die Offenheit, Spontaneität und Risikobereitschaft des Rock 'n' Roll sind Sekundärtugenden geworden, mit denen sich auch eine KZ-Musik betreiben läßt. Sind deshalb Emotion und Irrationalität faschistisch (geworden)? Sicher nicht. Der Ausdruck der Gefühle der Opfer des Rassismus – von Otis Redding bis Arrested Development – eröffnet den Blick auf seelische Dimensionen von Diskriminierung, der intellektueller Analyse oft abgeht. Doch der Grad von Authentizität (zum Beispiel roots – Härte – Schnelligkeit – Desparatheit) des Vortrags sagt noch nichts aus über die humane Qualität des Verlangens, das dahinter steht. Erst recht muß mit der Kopflosigkeit aufgeräumt werden, die sich etwas darauf einbildet, „aus dem Bauch heraus“ zu musizieren, zu kritisieren und zu leben. Da werfen sich in Köln die Musiker und Gruppen der Initiative „Arsch huh, Zäng ussenander“ lokalpatriotisch in die Brust, weil sie allesamt ihren Gegen-rechts-Standpunkt in Mundart vortragen und damit – so glauben sie – den Rassismus als ganz schlimm unkölsch (und so am Ende gar als „undeutsch“) entlarven. So wird aus dem Vertrauen auf die Kraft der Gefühle eine gefährliche Gefühlsseligkeit, die die Rechten ausgerechnet auf dem Terrain der Heimatliebe und Volksverbundenheit besiegen will.
Nein, Gefühle ersetzen weder die intellektuelle Auseinandersetzung noch die politische Praxis. Und die muß innerhalb des Rock 'n' Roll mit den selbstzufriedenen Tümlern aufräumen, die sich immer noch werweißwas auf ihre innovatorischen Leistungen gegen und für die Gesellschaft einbilden. Sie und wir sollten uns fragen, ob die vom Rock 'n' Roll vierzig Jahre lang erneuerte Gesellschaft zu großem Stolz Anlaß gibt.
Wir entnehmen den Text mit freundlicher Genehmigung der Edition ID-Archiv und der Herausgeber Max Annas und Ralph Christoph dem Sammelband „Neue Soundtracks für den Volksempfänger – Nazirock, Jugendkultur und rechter Mainstream“, der nächste Woche ausgeliefert wird.
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