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Karenztage machen krank

■ Angestelltenkammer: Die Chefs fürchten Mehrkosten durch verschleppte Krankheiten

Die Einführung von Karenztagen zur Finanzierung der Pflegeversicherung könnte nach hinten losgehen. Nach einer Studie der Angestelltenkammer Bremen fürchten neben abhängig Beschäftigten auch Leitende Angestellte und Selbständige eine „Zeitbombe verschleppter Krankheiten“, wenn ArbeitnehmerInnen künftig bei jeder Krankheit zwei Tage auf Lohn verzichten oder Urlaub nehmen müssen.

In einer Umfrage fällen die Leitenden Angestellten ein „zwiespältiges und skeptisches Urteil“ über die Karenztage-Regelung. Sie könnte vielleicht kurzfristig den Krankenstand senken, „langfristig jedoch genau das Gegenteil bewirken: längere Krankschreibungen und höhere Lohnfortzahlungen.“

Diese Einschätzungen gehen aus der repräsentativen Studie „Gesundheit und Lebensqualität“ hervor, bei der im März 1993 in Bremen und umzu mehr als 4.200 Erwerbstätige vom Zentrum für Sozialpolitik an der Uni Bremen befragt wurden. Für die abhängig Beschäftigten sind Karenztage demnach „unterm Strich völlig inakzeptabel und unangemessen“. Eine Mehrheit von jeweils 70 bis 80 Prozent meinen, daß Betriebe durch die Regelung kaum Geld sparen würden, daß es zu längeren Krankschreibungen und massiven gesundheitlichen Risiken kommen würde und daß große soziale Errungenschaften beseitigt würden.

Auch leitende Angestellte wie Geschäftsführer oder Produktionsleiter sind laut dieser Studie skeptisch: Zwar sehen sie Einsparungen für die Betriebe und eine Verringerung des „Blaumachens“. Dem gegenüber steht aber ein Abbau sozialer Sicherheit und daraus folgende Demotivierung. Schließlich fürchten 68 Prozent der Chefs ebenso wie 78 Prozent der befragten Ärzte eine Verschleppung von Krankheiten und damit höhere Kosten.

Die Angst vor Lohnverlust birgt nach Ansicht der Angestelltenkammer das Risiko der „Chronifizierung von Krankheiten und Frühverrentung“-wenn die Leute erst zum Arzt gehen „wenn es anders nicht mehr geht“. Viel zu viel werde über „Blaumachen“, viel zu wenig über „Arbeiten trotz Krankheit“ gesprochen, moniert die Angestelltenvertretung: In Studien seien teilweise über 70 Prozent der Beschäftigten als behandlungsbedürftig eingestuft worden.

Besonders bei jüngeren und besser ausgebildeten KollegInnen zeige sich der Trend zu erhöhtem Gesundheitsbewußtsein, das die Arbeit nicht mehr als vorrangig gegenüber der eigenen Gesundheit einstufe. Seit Jahren werde eine solche Selbstverantwortung von den Gesundheitspolitikern gefordert.

Auch der Bundesverband Alleinstehender Mütter und Väter (VAMV) hat sich gegen die Einführung von Karenztagen ausgesprochen. Alleinerziehende würde eine solche Regelung am härtesten treffen, betonte die Bundesdelegiertenversammlung des VAMV gestern in Osnabrück. Bereits einen Lohnverzicht von ein bis zwei Tagen bekämen die meisten Alleinerziehenden deutlich zu spüren.

In einem neuen Grundsatzprogramm, das auf der Tagung beschlossen wurde, forderte der VAMV eine Berücksichtigung der besonderen Lebenslage von Einelternfamilien im Artikel sechs des Grundgesetzes. Unter anderem müsse darin festgelegt werden, daß jedes Kind einen Anspruch auf einen Platz in einer Kinderbetreuungseinrichtung hat. Nach Feststellung des VAMV sind inzwischen über 13 Prozent aller Familien Einelternfamilien. Bernhard Pötter

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