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Klischee vom Operettenstaat

■ Jack Gold verfilmte Österreichs bislang größten Skandal: den „Fall Lucona“

23. Januar 1977, kurz vor vier Uhr nachmittags: Im Indischen Ozean dümpelt der Frachter „Lucona“, die zwölfköpfige Crew schlägt die Zeit tot, der Kapitän bekommt eine Wiener Schokoladentorte auf die Brücke, derweil sich seine Frau im Sonnenlicht räkelt – happy hour fern der Heimat Österreich. Punkt vier Uhr zerreißt eine Explosion in Bugnähe die Beschaulichkeit. Binnen zwei Minuten sinkt das Schiff auf den Grund des Indischen Ozeans. Was sich wie die Anfangssequenz eines B-Movies abspult, ist Wirklichkeit. Der Zwischenfall war wohlkalkuliert, die sechs Überlebenden, Kapitän, Ehefrau und vier Mann Besatzung, ganz und gar nicht. So kam es zum „Fall Lucona“.

Die nachfolgenden Ereignisse katapultierten die verstörte Alpenrepublik in ihren – bislang – schlimmsten Polit-Alptraum: Der Frachter sollte eine zerlegte Uranerz-Aufbereitungsanlage nach Fernost verschiffen, Versicherungssumme: 20 Millionen Dollar, zahlbar nach Untergang. Im Schiffsbauch lagerte jedoch nur angemalter Schrott. Verbürgt hatten sich für den rostigen Technologie- Deal diverse Minister, Regierungsbeamte und Juristen. Erst nachdem der österreichische Journalist Hans Pretterebner zehn Jahre später sein Buch „Der Fall Lucona“ veröffentlicht hatte, folgten Rücktritte, Verhaftungen und Selbstmorde.

Als Drahtzieher des Sündenfalls made in austria fungierte Udo Proksch, Wiener Partylöwe und seit 1973 Besitzer des ehrwürdigen „Café Demel“, Waffenhändler und Schwerenöter, Gelegenheitsspion und Tortenliebhaber. Im Club 45 über seiner k.u.k. Hofkonditorei gaben sich die Mächtigen, Reichen und Schönen ein Stelldichein bei Sekt, Kaviar und Rotlicht. En passant verschoben sie Subventionsgelder, schlossen windige Geschäfte ab und wagten einen flotten Dreier vor laufender Videokamera. Die Demokratie lief auf Grund. Proksch, der ehemalige Schweinehirt, setzte sich schleunigst ab, nachdem sein Multi-Millionen-Dollar-Frachtversicherungs-Betrug aufgeflogen war. Seit 1989 sitzt er jedoch. Ein Gericht verurteilte ihn zu zwanzig Jahren Gefängnis wegen Versicherungsbetrugs und Mordes in sechs Fällen. Die Affäre schwelt derweil munter weiter, Proksch-Spezi Hans Peter Daimler wartet in Kiel auf eine eigene Zelle.

Fürwahr, eine grelle Räuberpistole, angesiedelt zwischen Wien und irgendwo, bitterböse-spießig und komisch genug, um als Filmstoff zu enden. „Der Fall Lucona“: Nun 112 Minuten belichtetes deutsch-österreichisch-italienisch- amerikanisches Zelluloid. Die wurmige Wortkoppelung läßt ahnen, daß der Film schwer im Magen liegt, wie eine original Sachertorte. Im Wiener Walzertakt zelebrieren der englische Regieroutinier Jack Gold („Der Rote Monarch“, 1983) und Kameramann Gernot Roll das Polit-Spektakel als genialisch-verruchtes Gesamtkunstwerk des Udo Proksch alias Rudi Waltz.

Der skandalöse Fall verliert jedoch schnell jede Schärfe durch seine Zuspitzung (Drehbuch: Jim Hawkins) auf einen Donau-Mephisto, der's im „Urin hat, wie man mit den Großen umspringt“. Die alte Story von der Verführbarkeit endet als Klischee vom Operettenstaat. Rudi Waltz, soviel ist allen klar, will „ganz nach oben“. Dafür rückt er auch schon mal mediengerecht im Panzer auf den Heldenplatz vor. David Suchet, Mitglied der Royal Shakespeare Company, gefällt sich als mafioser Weltenjongleur. Feixend wechselt er vom Wiener Schmäh zur Napoleon-Attitüde, boxt, schießt, spuckt Gift und Galle, ein rechter Saubeutel.

Spürnase Jürgen Prochnow alias Hans Strasser/Hans Pretterebner, akribischer Journalist und treuer Familienvater, weiß das zu verhindern. Langweiliger denn je blubbert Prochnow Sprechblasen wie „ich muß es tun“, stammelt im Zigarettenrauch von der „teuflischen Mixtur aus Sex, Drogen und Politik“, der er den Garaus machen will. Schafft er auch, denn: „Auch eine Fliege fängt mal eine Spinne.“ Und so streben alle beruhigt dem Ausgang zu. Yvonne Rehhahn

„Der Fall Lucona“. Regie: Jack Gold; Kamera: Gernot Roll. Mit: David Suchet, Jürgen Prochnow, Dominique Sanda. BRD/Ö/I/USA 1993, 112 Min.

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