■ Ein Zivilisationsvergleich, angeregt durch R. Augstein
: Der europäische Kulturgarten

Es waren die letzten Tage meines Deutschland-Aufenthaltes 1985. Der damalige Frankfurter Oberbürgermeister Walter Wallmann führte Wahlkampf. Daß es der Ausländer zu viele gebe, wurde beklagt und der Bürger in Plakaten aufgefordert: „Das Ausländerproblem liegt in Ihrer Hand“. Als wir – eine Handvoll Türken – Wallmann als Rassisten an den Pranger stellten, bekriegten uns Linke und Liberale. Die „Hofkanaken“, wie mein Freund Armagan die vom deutschen Staat subventionierten, integrationslüsternen Türkenvereine zu nennen pflegt, fanden, daß wir zu weit gingen. Verniedlichend durfte von „Ausländerfeindlichkeit“ geredet werden, von Rassismus nicht. Wallmann gewann die Wahlen, die Bürger nahmen das „Ausländerproblem“ in ihre Hände, und ich haute aus Deutschland ab. In den folgenden Jahren las ich dann fern in Istanbul Stellungnahmen aus der politischen Elite Deutschlands: „Asylantenschwemme“, „Durchrassung“ und „Abtragen des Türkenberges“. Ich fragte mich, ob die politische Elite Deutschlands aus Rassisten besteht. Bei meinem vorletzten Besuch in Deutschland übten sich Deutsche bereits darin, Häuser in Brand zu stecken. Die Möllner Familie war gerade ermordet worden. Ich traf auf eine Frankfurter Passantin, die sich einer kleinen Mahnwache für die Opfer näherte. Den Brandanschlag fand sie „schrecklich“. „So etwas tut man nicht.“ Schließlich folgte der Satz, über den ich lange grübelte: „Gewalt ist keine Lösung.“ Ich glaube, die Frau war die deutsche Durchschnittsrassistin. Der Satz erinnerte mich an eine Schlagzeile des Völkischen Beobachters, die mir im Gedächtnis geblieben war: „Die Ausweisung der Juden ist unnötig. Wenn jeder Deutsche jüdische Geschäfte meidet, gehen sie von selbst.“

Der Rassismus ist herrschende Ideologie in Deutschland. Die Formen, die er annimmt, sind mannigfaltig. Man kann die Fremden gesetzlich diskriminieren, man kann ihnen die Bürgerrechte vorenthalten, man kann sie als kulturell minderwertig denunzieren, und natürlich kann man ihre Häuser abfackeln. Den Exekuteuren von Solingen muß Weitsicht bescheinigt werden, machen sie doch deutlich, daß mit dem Asylkompromiß der Parteien noch längst kein Schlußstrich gezogen ist. Der Ausländer sind noch zu viele.

Es ist das Verdienst von Spiegel- Herausgeber Rudolf Augstein, den Grundkonsens des deutschen Rassismus zu formulieren. Augstein wütet im Spiegel (23/93) gegen die doppelte Staatsangehörigkeit für Türken. Weil ihm die Reinheit der deutschen Kultur am Herzen liegt. Die Türken bedrohen die imaginäre deutsche Nation. „(Sie) gehören einem Kulturkreis an, der mit dem unseren vor und nach Prinz Eugen nichts gemein hat ... Man stelle sich ein EG-Europa à la Maastricht vor, in dem die Türken Dänen, Engländer, Franzosen oder Spanier werden könnten, ohne doch in den Kulturgärten dieser Länder zu wurzeln.“

Was versteht Germane Augstein unter dem europäischen Kulturgarten? Die plündernden und raubenden christlichen Kreuzritter, die unsere orientalischen Kulturgärten – z.B. Konstantinopel – verwüsteten? Den Kulturgarten Ferdinands und Isabellas, die die Iberische Halbinsel von Juden und Moslems „säuberten“? Gottlob fanden die Juden Zuflucht bei den türkischen Osmanen, die Augstein bis heute erschauern lassen, obwohl sie Wien nicht eingenommen haben. Oder ist der europäische Kulturgarten der gründlich ausgeführte Ausrottungsfeldzug der Nationalsozialisten gegen die europäischen Juden? Oder ist der europäische Kulturgarten ein Rostocker Gelände, auf dem unter dem Beifall des Bürgers Flüchtlingsheime angesteckt werden?

Augsteins Kulturgarten ist ein Kultursumpf. Die christlich- abendländische Zivilisationsgeschichte, der er verbunden ist, ist (ganz im Gegensatz zum islamischen Kulturgarten) die Geschichte des Rassismus, den schließlich die Nationalstaaten perfektionierten. Ihr wart es, die die Moslems auf dem Balkan ausgeräuchert habt. Nur noch Albaner und Bosnier sind verblieben. Heute sind im europäischen Kulturgarten Serben und Kroaten damit beschäftigt, Bosnien von den Moslems zu säubern. Die Seuche des Nationalismus habt ihr in den orientalischen Kulturgarten getragen bis hin zu den Türken, die sich letztlich auch am Nationalstaaten- Wahn beteiligten (und deshalb im Ersten Weltkrieg Armenier massakrierten). „Tod oder Assimilation“ (bzw. Konvertierung) war schon immer euer Schlachtruf. Heute ruft Jünger Augstein den Türken zu: Ein kleiner Teil von euch darf Deutscher werden. Hinweg mit den anderen! Ich lebe in der wildwüchsigen Istanbuler Stadtfauna, die Unkrautjätern wie Augstein Ekel und Angst einflößt. Dort ruft der islamische Muezzin zum Freitagsgebet, während Sonntag und Mittwoch das Glockenläuten der Kirchen zu hören ist. Sofort nach der Eroberung Konstantinopels 1453 verfügte Sultan MehmedII. Religionsfreiheit und erkannte die jüdischen, griechischen und armenischen Körperschaften an. Deshalb läuten heute in Istanbul Kirchenglocken, während in Europa der Muezzin nicht zum Gebet ruft. Und in dem faktischen Einwanderungsland Deutschland, wo Millionen Moslems leben, wird der Muezzin auch nie rufen können – dafür werden die Wächter der Zivilisation schon sorgen. Aber Kirchensteuern von türkischen Unternehmern kassieren – das könnt ihr.

Wie lächerlich wirkt es, wenn Augstein den Türken Nachhilfeunterricht in Demokratie erteilt. „Eine Demokratie im Sinne der Maastricht-Länder hatten (die Türken) aber nie und werden sie auch in 20 Jahren schwerlich haben.“ Augstein sei verziehen, daß er in der türkischen Geschichte nicht durchblickt und beispielsweise vom demokratischen Aufbruch des Jahres 1909 keine Ahnung hat. Aber in deutscher Geschichte sind Sie doch stark, Herr Augstein? Ist die Weimarer Republik nicht unter tatkräftiger Beihilfe der Freikorps- Mörderbanden auf die Beine gekommen, war das nicht ein Kulturboden, der mit dem Blut Karl Liebknechts, Rosa Luxemburgs und Leo Jogiches gedüngt war? Und wer war es, der 14 Jahre später die Republik den Nazis auslieferte? Die deutschen Demokraten habt ihr, Wächter der Reinheit, zusammen mit den Juden in die Konzentrationslager geschickt. Dann haben euch nach 45 Amerikaner und Russen in Nürnberg Mores gelehrt. Echte Souveränität für die deutsche Demokratie begann erst wieder nach der Vereinigung. Und die Bilanz läßt sich sehen: über tausend Brandanschläge, mehrere Dutzend Morde.

Nachtrag: Der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel ist im zentralanatolischen Islamkoey geboren. Ein kleines Nest, das all das verkörpert, was mir zuwider ist: bäuerliche Hinterlist, verschleierte Frauen, den Idiotismus des Landlebens. Der Spiegel hatte ebenfalls ein Interview mit Demirel veröffentlicht. Im Vergleich zu Augstein, geboren in der Stadt Hannover, ist Demirel aus dem Dorf Islamkoey ein urbaner, weltmännischer Liberaler.

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