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Charisma, Vision, Esprit: Scharping fordert Kohl heraus

■ 20 Prozent der Stimmen aller SPD-Mitglieder reichten: Scharping wird Bundesvorsitzender

Bonn (taz/dpa/AFP) – Die Basis hat gesprochen, gestern vollzog die Parteispitze der SPD brav ihren Willen. Nachdem Rudolf Scharping am Sonntag bei der Mitgliederbefragung 40,3 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sein bärtiges Haupt vereinigen konnte, beschloß das Parteipräsidium gestern, den Ministerpräsidenten Rheinland-Pfalz als Kandidaten für den Bundesvorsitz für den Sonderparteitag am 25. Juni in Essen zu nominieren. Scharping übte sich derweil schon in seiner neuen Rolle und rief die eigene Partei dazu auf, sich jetzt auf Sachfragen zu konzentrieren. Dabei gehe es vor allem um die Wirtschafts-, Industrie-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik, sagte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident. Durch eine Begrenzung der öffentlichen Ausgaben und eine Konsolidierung der Haushalte müsse der Wirtschaft ein langfristiger Rahmen geboten werden. Das sei besser als ein „kurzatmiges Konjunkturprogramm“.

Zur wesentlich interessanteren Frage der Kanzlerkandidatur erklärte Scharping, er werde sich dieser Aufgabe nicht verweigern, wolle der Partei aber nicht vorgreifen.

Gerhard Schröder, der nur 33,2 Prozent der Stimmen erhielt, erklärte: „An dem Ergebnis gibt es nichts zu rütteln.“ Er kündigte an, Scharping sowohl im Präsidium als auch anschließend im Parteivorstand seine Stimme zu geben. Zur Frage der Kanzlerkandidatur bekräftigte Schröder, Vorsitz und Kandidatur sollten in einer Hand vereinigt sein.

Der frühere SPD-Partei- und Fraktionschef Hans-Jochen Vogel befand, nur wenn Scharping die Kanzlerkandidatur ablehne, ergebe eine neuerliche Mitgliederbefragung einen Sinn. Der neue Kanzlerkandidat solle im Falle einer Wahlniederlage im kommenden Jahr als Oppositionsführer nach Bonn gehen. Der amtierende Parteichef Johannes Rau nannte die Mitgliederbefragung im Hessischen Rundfunk ein Mittel gegen die Politikverdrossenheit. Er sei gespannt, wie andere Parteien darauf reagieren.

Der neue FDP-Generalsekretär Werner Hoyer lehnte eine Mitgliederbefragung in Personalfragen nach dem Muster der SPD für die Liberalen ab. Dies werde in der FDP „nicht anstehen“, sagte Hoyer im Saarländischen Rundfunk. SPD-Bundesgeschäftsführer Karlheinz Blessing sagte im ARD-Morgenmagazin, die Mitgliederbefragung habe innerhalb der Partei neue Erwartungen geweckt. Die Basis werde auch in Zukunft mitreden wollen, „wenn die Parteiführung sich nicht fängt“.

Der Vorsitzende der Jusos, Thomas Westphal, urteilte: Scharping, der sich mit 40,3 Prozent der Mitgliederstimmen deutlich gegen Gerhard Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul durchsetzen konnte, habe in der SPD keine Mehrheit. Mit einem Parteivorsitzenden Scharping würden weitere SPD-Grundpositionen aufgegeben, sagte Westphal voraus. Der „weitere Anpassungskurs an konservative Politik“ habe in der SPD keine Mehrheit gefunden, betonte der Juso-Chef weiter. Die „Erneuerung der SPD und der Bruch mit dem Enkel-Modernisierungs-Kurs“ müsse deshalb jetzt von unten organisiert werden. „Faule Kompromisse“ wie etwa in der Asyl-Frage, dürfe es nicht mehr geben.

Der CSU-Vorsitzende Theo Waigel nannte Scharping einen „Verlegenheitskandidaten“, der die SPD nicht zum Sieg führen könne. „Scharping ist kein Gegner für Kohl“, befand der CSU-Vorsitzende.

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