: Premiere: Virus im Digital-System
■ Streik bei Rationalisierungsmulti – wegen Rationalisierungsschutz Von Kai von Appen
Die IG Metall hat ein neues Kapitel ihrer Tarifpolitik geöffnet: Seit gestern befinden sich rund 60 Beschäftigte der Hamburger Dependance des Computergiganten „Digital Equipment“ (DEC) an der Kieler Straße im Streik. Grund: Die IG Metall versucht für die bundesweit 3500 Beschäftigten einen Rationalisierungsschutzvertrag durchzusetzen. Es ist der erste Arbeitskampf in der arbeitsplatzkillenden Computerindustrie.
„Digital“ ist weltweit der zweitgrößte Computerhersteller. Doch in der Branche kriselt es, der Konkurrenzkampf ist heftig. 146 Millionen Mark Miese mußte Branchenriese DEC 1992 bei 1,8 Milliarden Mark Umsatz in der Bilanz verbuchen. Daher möchte das Management das Unternehmen sowie die 1992 erworbene Mannesmann/Kienzle GmbH in eine Holding mit fünf Tochterfirmen umwandeln – um flexiblere Arbeitsstrukturen zu bekommen, Personal abbauen sowie defizitäre Bereiche abstoßen zu können.
Derartige Pläne sind in der Computerbranche nicht neu: Auch IBM hat im vergangenen Jahr damit begonnen, den Computer-Multi zu zerstückeln, Personal abzubauen und Sozialleistungen zu kürzen. Praktischer Nebeneffekt: Durch die Zersplittung können Mitbestimmungsrechte von Gewerkschaften und Betriebsräten umschifft werden.
Ohnenin haben die Beschäftigten in der Branche mittlerweile erkennen müssen, daß die rosigen Zeiten der Expansion in der Datentechnik, in denen mit akademischen Fachwisssen Spitzengehälter erzielt wurden und die Arbeitsplätze gesichert waren, vorbei sind. Und hier setzt die IG Metall an. Als erstem Unternehmen der Computerindustrie legte sie DEC einen Haustarifvertrag vor, durch den die von Umstrukturierungen betroffenen Arbeitsplätze langfristig gesichert werden sollen. Aber das Mangement lehnte jegliche Verhandlungen ab.
Nachdem die Gewerkschaft durch zahlreiche Warnstreiks die Bosse nicht an den Verhandlungstisch zwingen konnte, wurde die harte Gangart eingeschlagen: Bei der Urabstimmung votierten 84,9 Prozent für Streik. Nach Berlin, Hannover und Bremen, wo die MitarbeiterInnen bereits Anfang der Woche die Klamotten hingeworfen haben, war es nun gestern auch in Hamburg soweit. In den Morgenstunden zogen die Streikposten auf. Von den Hamburgern werden vorwiegend Vertriebs- und Wartungsaufgaben wahrgenommen. Obwohl nur 30 Prozent der rund 230 MitarbeiterInnen in der Gewerkschaft organisiert sind, herrschte unter den Streikenden zuversichtliche Stimmung, das Verhandlungstabu zu durchbrechen. Streikleiter Richard Polzmacher prophezeit: „Wir werden Arbeitskampfformen anwenden, die in ihrer Wirkung die Strukturen solcher neuen und intelligenten Produktions- und Dienstleistungsunternehmen empfindlich treffen.“
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