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Türkischer Tanz auf dem Kanzlerfest

■ Zehn türkische Kids waren gestern auf Bonner Kinderfest

Den fünf Jungen war die Erschöpfung kaum anzusehen. Sie hielten sich tapfer und tanzten ihren Tanz bei der Generalprobe am vergangenen Dienstag wieder und wieder, bis alles richtig klappte. Dann waren die Mädchen dran und zeigten in ihren blauen Kleidern mit den roten Strümpfen und den vielen Kettchen an der Schürze den ebenso schnellen wie schweißtreibenden türkischen Tanz „Horon“.

Gestern morgen starteten die zehn sieben- bis elfjährigen türkischen Kinder des türkischen Folklorevereins in aller Frühe Richtung Bonn. Dorthin lud der Bundeskanzler zum elften Mal auf das Kinderfest im Garten des Kanzleramts ein. Die Kreuzberger Kids sind selbstbewußt. Kaum ein Fünkchen Lampenfieber war am Tag vor der Abreise auszumachen. Immerhin: „Wir haben ja auch schon bei Udo Lindenberg vor 10.000 Leuten getanzt.“ Echte Profis also. Nur wegen des Flugs kribbelte es manchen im Bauch, schließlich könne es ja sein, daß man abstürzt.

Helmut Kohl können sie eigentlich nicht schlecht leiden. Aber daß er nicht nach Solingen nach dem Brandanschlag gekommen ist, nehmen sie ihm übel. „Die Einladung zu dem Fest ist jetzt so was wie eine Entschuldigung, uns reicht das aber nicht“, erklärt eine zehnjährige Tänzerin. Da müsse schon mehr passieren, beispielsweise die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft. Sie selbst fühlt sich in Kreuzberg ziemlich sicher. „Die Skins trauen sich nicht hierher, weil die wissen, daß hier alle zusammenhalten.“

Was die Kinder allerdings nicht wissen, ist, daß sie zunächst gar nicht auf der Gästeliste Kohls standen. Die Berliner waren aus Kostengründen dieses Jahr nicht eingeplant. In der Industrie- und Handelskammer (IHK) überlegte man, daß es ein positives Zeichen wäre, wenn gerade türkische Kinder an dem Fest teilnehmen könnten. Also erwirkte die IHK eine Einladung und organisierte die Reise, die Lufthansa spendierte den Flug. Zwei Schulklassen aus Berlin konnten außerdem auf Initiative eines Berliner Radiosenders ebenfalls nach Bonn reisen.

Die türkischen Kinder waren die einzige nichtdeutsche Delegation auf dem Fest, zu dem außer rund 2.800 Kindern zahlreiche prominente Gäste geladen waren. Deshalb rechnete der Leiter der Tanzgruppe, Muzaffer Topal, auch damit, daß seinen Schützlingen besondere Aufmerksamkeit zuteil wird. Professionalität forderte er deshalb und ließ den Tanz immer wieder von vorne beginnen, damit die Inszenierung perfekt saß. Schließlich schafften es die Jungs sogar, während ihre fünf Partnerinnen tanzten, nicht in der Nase zu popeln oder unbeteiligt in die Gegend zu schauen. Wie hätte das auch vor den Blicken des Bundeskanzlers ausgesehen? Jörg Welke

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